Kurzer Auftritt für den Pottwal

Skandinavien I. So lang unterwegs sein, bis sich ein Tier zeigt: Walsafari in Andenes auf der nordnorwegischen Inselgruppe der Vesterålen.

„Wie lang wird die Tour dauern?“ – „Schwer zu sagen. Drei, vier Stunden. Es können auch fünf werden. Mehr nur in Einzelfällen.“ Geir Maan lacht. Seit vielen Jahren unternimmt er auf den norwegischen Vesterålen Walsafaris mit Geld-zurück-Garantie: Wer vor der Küste von Andenes nicht mindestens einen der riesigen Meeressäuger zu sehen bekommt, bezahlt nichts. Oder er darf so oft mit auf das Boot, bis sich ein Wal gefunden hat, der den Deal zu einem guten Ende bringt.

Whale Watching wird in vielen Orten am Atlantik angeboten. Doch mit einer Garantie wie dieser? Eher selten, zu riskant. In Andenes aber gibt man sich selbstbewusst. Das Hafenstädtchen ist bekannt für seinen Fischreichtum. Kabeljau und Hering, die sich winters vor der Steilküste versammeln, haben die Inseln berühmt gemacht. Und natürlich die Wale, die inzwischen seltener und unter Protesten der Naturschützer geschlachtet werden

Finne, Blas, Fluke

Heute stellt den Riesensäugern eine wachsende Zahl an Touristen mit Kameras nach. Vor der Abfahrt werden allzu hohe Erwartungen gebremst. Im Winter tummeln sich in den Gewässern ungezählte Buckel-, Schwert- oder Finnwale, heißt es. Im Sommer muss man Glück haben, um wenigstens einen zu entdecken.

Der Himmel hängt bleiern über dem Meer und der Reine, dem Schoner. Regen ist angekündigt. Wer nicht mit Daunenjacke, Haube und Handschuhen antritt, wird an Bord mit Overalls ausgestattet. Auch Speibsackerln liegen bereit. Nach einer Stunde hat die Reine die Stelle vor der Küste von Andenes erreicht, an der der Meeresgrund zweitausend Meter in den Bleik Canyon abstürzt. Unruhe macht sich breit. Kapitän Maan hat seinen Arbeitsplatz gewechselt. Er sitzt am höchsten Punkt des Schiffs und hat die Kopfhörer seines Hydrophons aufgesetzt, das Geräusche unter Wasser ortet. Die Passagiere verfolgen jede Regung im zerfurchten Gesicht des Seebären. Plötzlich ist ein regelmäßiges Klopfen zu vernehmen. Kurz darauf beginnt Maan zu schreien und auf Backbord zu weisen. Alle stürmen an die Reling. Da ist er: ein Pottwal. Die Finne ist zu sehen, dann die Ahnung des Hauptes. Eine Fontäne aus Wasser und Luft schießt nach oben, der Blas, die Atmung. Bis der Kopf verschwindet. Immer wieder tauchen Teile des Körpers aus der Gischt: Schemen eines braun-grauen Ungetüms mit ledriger Speckschicht, eine fremde, archaisch anmutende Kreatur. Bilder von Jona und dem Wal erscheinen vor dem inneren Auge.

Doch für derlei Fantasien bleibt nicht viel Raum. Kapitän Maan kündigt das Ende des Auftritts an: Ein lautes „diving“ ist zu hören. Zuvor aber führt der Wal noch seine Fluke vor. Wie in Zeitlupe verschwindet sie im Blau des Ozeans. Fünfzig Tonnen Fleisch suchen ihren Weg in die Tiefe. Staunen. War's das jetzt? Es dauert etwa vierzig Minuten, ehe sich der Wal ein zweites Mal präsentiert. Das Spektakel wiederholt sich. Dann ändert Kapitän Maar den Kurs. Es wird Zeit für die Rückfahrt. Starker Regen setzt ein, die Wellen preschen gegen den Bootsrumpf. Möwen und Eissturmvögel kreischen, ein seltsamer Chor im Heulen heftiger Windböen. „Es wird der Tag kommen, da werdet ihr auf See Land riechen, wo kein Land ist.“ Satzfetzen aus Melvilles „Moby Dick“: Plötzlich meint man sie im Ohr zu haben, dazu ein Ticken aus der Tiefe. Susanne Schaber

INS NORDMEER

Wal schauen: Whalesafari Andenes, www.whalesafari.no

Übernachten:Andrikken in Andenes, beliebtes Designhotel in zentraler Lage, www.andrikkenhotell.no

Einkehren: Arresten Restaurant im früheren Gefängnis von Andenes. Hier schmecken Fisch und Burger.

Information: Visit Norway,

www.visitnorway.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.