St. Moritz I: Die WM-Piste, eine Rasante von vielen

Gleich drei feine Skigebiete liegen vor der Tür.
Gleich drei feine Skigebiete liegen vor der Tür.St. Moritz Tourismus
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Goldenen Berg nennen die Einheimischen ihre Corviglia. Nicht, weil das Massiv bei Sonnenaufgang gelegentlich in überirdisches Licht getaucht ist, sondern, weil viel investiert wurde.

Der Blick schockiert – in die Tiefe des „Freien Falls“. So heißt der Starthang der Herrenabfahrt von St. Moritz. Am Samstag, den 11. Februar fighten sie dort auf der Corviglia um den Weltmeistertitel. In sechs Sekunden von null auf 100, in 7,5 Sekunden auf 140 Stundenkilometer. Das ist Weltrekord im Weltcup und bei Weltmeisterschaften – keine Alpinabfahrt des Rennzirkus beginnt spektakulärer. Das Irritierende für Reichelt, Mayer und Franz: „Sie sehen nicht, wo es hingeht“, erklärt Race-Organisationschef Martin Berthod, „sie werfen sich ins Leere . . .“

Bloß nicht da oben stehen müssen. "Der Freie Fall", Prolog der Herrenabfahrt.
Bloß nicht da oben stehen müssen. "Der Freie Fall", Prolog der Herrenabfahrt.Instagram (st.moritz2017)

Eine atemberaubende Renneröffnung ist dies auf jeden Fall. Jedoch nur für die männlichen Rennfahrer. Alle anderen können zwar die 154 Stufen der Stahltreppe zum Start auf 2840 Metern hinaufstapfen und in den Hang hineinblicken. Doch sie dürfen ihn nicht befahren. Es wäre lebensgefährlich. Weil: Die steile Neigung ist mit 45 Grad und 100 Prozent Gefälle (der Starthang der Streif zur Mausefalle beträgt 85 Prozent) derart ausgeprägt, dass zur Präparierung ausschließlich Kunstschnee verwendet werden kann, der mittels Seilwinde und Raupe als Basis angelegt wird. Für die Feinschliffbegradigung dürfen nur erfahrene Bergsteiger in Aktion treten. Und die beiden obersten Tore gar werden von Bergführern mit Pickel, Steigeisen und Seilanhängung bewacht. Die Seilsicherung ist Pflicht. Ein Fehltritt und die Höllenfahrt wäre nicht mehr zu stoppen. „Wenn man hier stürzt“, sagt Berthod, „kann es sein, dass die Kleidung zu brennen beginnt.“

Und deshalb dürfen die Weltcupdamen da nicht hinunter? Falsch gedacht. Die Wahrheit lautet: „Die Frauen des Weltcups“, verrät WM-Sponsoring-Boss Andri Schmellentin, „könnten vermutlich alle diesen Hang bewältigen. Aber der Skiweltverband gestattet es nicht. Denn dieses Spektakel soll aus Marketinggründen ausschließlich den Männern vorbehalten bleiben.“ Der Mythos der Schneedominatoren und Downhill-Terminatoren soll wohl keinen Kratzer erhalten. Man stelle sich vor, wenn auch die Frauen des Metiers fehlerfrei und schadlos dieses Abenteuer überstünden? Die 2,20-Meter-Abfahrtslatten der Burschen würden auf 1,10 Meter einschrumpfen.

Bergstation der Corviglia, 1962
Bergstation der Corviglia, 1962Imago

Das Gras wächst wieder

In St. Moritz geht nach 1934, 1948 (die Olympischen Spiele waren zugleich WM), 1974 und 2003 nun zum fünften Mal die Alpin-WM über die Bühne. Die aktuelle Abfahrtsstrecke wurde in Teilen bereits 1974 benutzt. Und bei der 2003er-WM existierte der Freie Fall bereits als Attraktion, kreiert vom Andermatter 1972er-Abfahrts-Olympiasieger Bernhard Russi, der später zum berühmtesten Pistenarchitekten avancierte. Wie überhaupt die 03er-Strecke sich in fast nichts von der 17er unterscheidet. „So nachhaltig kann Skisport sein“, sagt WM-Mediendirektor Daniel Schaltegger. „Schauen Sie einmal nach oben“, fügt er hinzu, als wir wieder unten sind, „von der WM 1974 sieht man immer noch die Narben, da wächst teilweise bis heute nichts mehr nach.“ Was inzwischen „kaum mehr passieren kann“. Denn in der Jetztzeit nehme man „vorher“ einfach das Gras weg – und lege es „hinterher“ wieder darauf.

Alle Rennen münden in ein einziges Ziel (Salastrains) – dessen Umgebung sich als anfangs problematisch erwiesen hat, da sich in der Nähe ein geschütztes Hochmoor befindet. „Man darf da nicht einen einzigen Meter drüberfahren“, grollt der einheimische WM-Direktor Franco Giovanoli, „aber wenn im Sommer die Kühe draufstehen – dann ist das natürlich etwas ganz anderes. Früher war an dieser Stelle die Mülldeponie. Aber bei uns wird ja jeder Ameisenhaufen geschützt.“ Trotzdem habe man stets „ein gutes Einvernehmen mit den Umweltorganisationen“, betont er. „Wir renaturierten beispielsweise einen Bach – und durften dafür am Berg was machen.“

Sportlich, sportlich

60 Millionen Schweizer Franken schwer ist der WM-Etat – ohne den Bau der neuen Signalbahn. Rund 55,9 Millionen Euro. Die Gemeinde selbst trifft es mit zwölf Millionen Franken (11,2 Mio. Euro), der Rest stammt vom Bund und Kanton Graubünden. 25 Menschen sitzen im Organisationskomitee, dazu gesellen sich noch 1300 Volunteers aus der ganzen Welt und fast 700 Helfer vom Militär. 4500 der St. Moritzer Gästebetten werden während der WM-Zeit an die (wie Giovanoli sie nennt) „Familie“, den WM-Tross, abgetreten. Doch anreisenden speziellen WM- und unspeziellen Wintertouristen bleiben noch genügend Zimmer (die Einheimischen kalkulieren mit etwa 200.000 Interessenten). Ebenso verhält es sich mit den Hängen zum freien Skifahren und Snowboarden: „Wir haben hier 360 Pistenkilometer“, beantwortet Giovanoli eine immer wieder gestellte Frage, „und die WM-Piste ist nur eine einzige von ganz vielen. Natürlich sind auch auf diesem oder jenem Berg noch ein paar Bereiche für Trainingszwecke gesperrt – aber das fällt nicht ins Gewicht.“ Rennen: Die alpine Ski-WM läuft von 6. bis 19. 2., alle Bewerbe werden am Hausberg Corviglia ausgetragen. Die Strecken sind vom Start bis zum Ziel einsehbar. Highlight ist der Freie Fall, wo Athleten auf 140 km/h beschleunigen. Ähnlich schnell werden die Skidamen auf ihrem Abfahrtsstart Britannia.

Zuschauen: Im Zielraum Salastrains befindet sich u. a. die Zuschauertribüne für 5000 Personen nebst VIP-Bereichen. Schauplätze fürs dichte Rahmenprogramm sind die Fußgängerzone und der Kulm-Park, wo Medaillen vergeben werden und Konzerte stattfinden.

Ski fahren: Während der WM ist das gesamte Skigebiet Corviglia zu befahren, unter der WM-Piste führen drei Tunnel durch. In bzw. bei St. Moritz hat man die Wahl zwischen drei großen, sehr schönen Skigebieten: Corviglia Piz Nair, Corvatsch Furtschellas (beim Silvapla-nersee), und Diavolezza/Lagalb (in Pontresina). Der Schnee im Engadin ist meist besonders trocken (Powder!).
Umwelt: Die WM soll nachhaltig wirken, ihr Konzept basiert auf dem Bericht „Nachhaltigkeit, Innovation, Vermächtnis“ zum Projekt Graubünden 2022.

Compliance-Hinweis: Die Reise wurde von Waldhaus Sils unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 4.2.2017)

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