Schweiz

"Schmugglerrunden" im Samnaun

Prächtig ist das hochalpine Skigelände, stellenweise sehr anspruchsvoll, gut entspannen lässt es sich aber auch. .
Prächtig ist das hochalpine Skigelände, stellenweise sehr anspruchsvoll, gut entspannen lässt es sich aber auch. .Swissimage
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Samnaun ist Zollfreizone, Einkaufsmeile, Tankstelle. Aber vor allem ist die hochalpine Enklave eine eindrucksvolle Skilandschaft. Die Schmugglerei mit den Nachbarn in Tirol sorgt heute noch für Geschichten.

Mit den Skiern geht es natürlich schneller als zu Fuß, und man überwindet die Berge mit leichtem Gepäck: Zwei Anoraktaschen voll oder ein Freeride-Rucksack hinten drauf – statt vier Kilo Kaffee ein halbes Reh, drei Liter Schnaps, Tabak, Butter, Saccharin und Seidenstrümpfe unter dem Wetterfleck. Und nicht belastet von angesoffener Wolle, sondern in Goretex wie unter Teflon: Schmuggeln war eine mühselige Plagerei bei Wind und Wetter, weil man die Gunst der schlechten Sicht nutzen musste, um den Zöllnern nicht in die Arme zu laufen. Für manche Ischgler und Samnauner war es vor allem nach den beiden Weltkriegen wohl eine Überlebensfrage, für wenige mehr ein Sport, heute jedenfalls eine gute Geschichte, die sich auch touristisch nutzen lässt: Drei „Schmugglerrunden“ sind durch das große grenzüberschreitende Skigebiet angelegt, je nach Ausdauer kreuzt man darauf mehr oder weniger die Wege und Steige der illegalen Exporteure vom Schweizer Samnaun ins österreichische Paznaun und wieder retour. Und ja: Auch heute wird noch so manche Zigarettenstange und Spirituose geschmuggelt, gefunden und abgestraft – selbst Skifahrer lassen es sich nicht nehmen, in den Zollfreishops im Samnaun mehr einkaufen als in die EU einzuführen genehm ist.

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Die Wirtschaftsgeschichte dieses hochalpinen Engadiner Tals ist mit einem sozusagen alternativen Warenverkehr zwischen Österreich und der Schweiz verbunden. Die Geschichte des Samnauner Skigebietes wiederum mit jener der Ischgler auf der anderen Seite der hohen Berge. Die beiden hängen an mehreren Stellen zusammen, dehnen sich nach dem heiß diskutierten Ausbau der Ischgler auf den Piz Val Gronda vor ein paar Jahren nunmehr innerhalb ihrer Skigebietsgrenzen aus. Wobei: Eine Bahn direkt aus Samnaun Dorf ist projektiert, denn der Zubringer in das Skigebiet liegt außerhalb des dicht Bewohnten: eine spektakuläre doppelstöckige Gondel führt hinauf in ein Areal, das von unten weniger zugänglich aussieht, als es sich dann oben dem Wintersportler präsentiert. Zwischen Fast- und Ganz-Dreitausendern wechselt der Skifahrer wie Wild hin und her, und es wird ihm nur an ein paar Schildern und auf der Speisekarte auffallen, dass er gerade das jeweilige Staatsgebiet verlassen hat. Vom Dialekt her vielleicht weniger, denn im Samnaun spricht der echte Local eigentlich kein alemannisches Schweizerdeutsch, sondern ein bairisches Tirolerisch, freilich mit Einsprengseln. Ursprünglich hat man hier in dieser im neunten Jahrhundert besiedelten Enklave Rätoromanisch gesprochen, doch das ist heute ein Relikt, festgefroren in Flurnamen, anderen Geografica und diversen gastronomischen Bezeichnungen für Hütten, Hotels und Gerichte.

Höchste Einkaufsmeile

Lang blieben die Samnauner für sich, denn der Schnee schnitt die paar hundert Menschen im Hochtal immer wieder vom Rest der Welt ab. Die beiden landschaftlich spektakulären Straßen mit ihren Tunneln und Lawinengalerien kamen spät. Doch das Kleinklima begünstigte die Autarkie: Dieses Hochtal liegt zwar auf 1900 Metern, aber es gedeiht unter den extrem milden Kesselbedingungen mehr als im Paznaun oder dem Engadin, wo die kalten Winde in beide Richtungen durchpfeifen können: Gerste, Roggen, Mais – und auch Erdäpfel, die heute wie eine kleine Kostbarkeit gehandelt werden. Viehzucht hat im Samnaun lange Tradition, das sieht man im Hochsommer beim Auf-die-Alm-Wandern. Fleisch aufzutreiben war nicht das Problem (jedenfalls nicht irgendeiner Qualität, denn alles wurde verarbeitet), wenngleich es den Samnaunern verboten war zu jagen. Aber wo schmuggeln auf der Tagesordnung stand, schien man beim Wildern auch nicht zimperlich zu sein.

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Landschaftlich eine urwüchsige Gegend, die ihren Charakter in den dörflichen Fraktionen erhalten konnte, auch wenn aus den einfachen Häusern noble Hotels oder Lokale, und aus den einfachen Läden feinere Shops mit den neuesten Sportartikeln, Schweizer Uhren, Parfums, Spirituosen und Zigaretten geworden waren. Nicht jeder zweite, sondern jeder eineinhalbte Betrieb dürfte sich in dieser wohl höchsten Einkaufsmeile Europas und einzigen Zollfreistation der Schweiz auf das Geschäft mit Waren und Benzin konzentrieren. Daher kommt mancher kostenbewusste Gast als Shopping- und Tanktourist. Kommt er als Skitourist, sucht und findet er hier die ruhige, gemütliche, bisweilen elegante Antithese zum Partyhotspot Ischgl hinter den Bergen.

Wilde Blumen, goldene Arven

Die Stimmung und die Landschaft sind noch stärkere Argumente für diese traumhafte Enklave: Gleich hinterm Dorf ragen monumentale Bergflanken auf. Felsbänder durchsetzen die Hänge. Rinnen führen mit spätem Schnee ins Tal hinunter. Almwiesen begrenzen Streifen aus Nadelgehölz. Der hochalpine Charakter trügt vielleicht ein wenig, denn oben ist das Samnauner Skigebiet vergleichsweise sanft. Liegt der Schnee nicht meterhoch, gleitet man auf dem Sessellift über Kuppen und Mulden und Trümmerfelder von Gesteinsbrocken hinweg – bizarre Findlinge, die es mitunter bis weit ins Tal hinunter geschafft haben. Und erst im Frühling müsste man hierherkommen und sich in eine Blumenwiese legen – man würde nicht fertig werden mit dem Staunen, denn die Pflanzen, die hier wachsen, gibt es in den Alpen bloß noch im Tessin, schwärmt Christian Jenal vom Talmuseum Chasa Retica. Um im Herbst leuchten die Arven, gelb und vom Holz etwas röter als die anderen Zirben. Woher das käme, lacht der Ortschronist: Weil sie Wein getrunken hätten.

Schneeloch und Enklave

Das Skigebiet Samnaun ist mit Ischgl verbunden, Schmugglerrunden in drei Varianten. Ziemlich viele schwarze Pisten, spektakuläre Landschaft. Öfter Events, z. B. 7.–9. 4. Formations-Europameisterschaften, 23. 4. Frühlingsschneefest mit Anastacia, 30. 4. Zucchero-Konzert auf der Idalp.

Unterwegs: Die Schweiz ist sehr gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen, etwa Flug nach Zürich (swiss.com) oder mit dem Zug nach Landeck und weiter mit dem Bus. Ideal ist auch eine Fahrt mit dem Nachtzug. Den Swiss Travel Pass gibt's auch via ÖBB. swisstravel-system.com, oebb.at

Info, Beratung, Buchung: Schweiz
Tourismus, T.: 00800 100 200 30 (kostenlos), info@myswitzerland.com, MySwitzerland.com

Region: Das Samnaun liegt im Dreiländereck von Schweiz, Österreich und Italien im Unterengadin. Zollfreizone.

Info: Tourismus Engadin, Scuol, Samnaun, Val Müstair. engadin.com

Hoteltipp: Das Chasa Montana in Samnaun Dorf wurde im Vorjahr von Holidaycheck zum beliebtesten Hotel der Schweiz gekürt. Mitglied bei Relais & Chateaux. Im Keller des familiengeführten Hauses lagern Spitzenweine und echte Raritäten. Fein: Gourmetstübli La Miranda. hotelchasamontana.ch

Compliance-Hinweis: Die Reisen wurden von Schweiz Tourismus und der ÖBB unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.1.2017)

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