Rangun

Vage Hoffnung in Burma

Gemüsestände, Garküchen und Tempel mischen sich in das chaotische Stadtbild einer sich schnell tranformierenden Stadt.
Gemüsestände, Garküchen und Tempel mischen sich in das chaotische Stadtbild einer sich schnell tranformierenden Stadt.(c) imago/robertharding
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Die Fassaden bröckeln, Investoren ziehen nach und Tower hoch. Doch die Atmosphäre in Burmas größter Stadt, Rangun, ist eine ganz eigene, besondere.

Die Jahre sind nicht spurlos an dem Haus in der 19. Straße vorübergegangen. Putz blättert von der Fassade, Pflanzen wachsen aus den Ritzen morscher, bogenförmiger Fensterrahmen, durch die früher eine frische Brise des Flusses wehte und heute Autos Abgase blasen. Bis vor Kurzem unter Strafe verbotene Satellitenschüsseln strecken ihre Drahtfühler in die Gassen und machen das Haus in Ranguns Altstadt zu einem janusköpfigen Alien. Die verzierten Säulen sind verblasst, die Wände von Schmutz und Ruß überzogen. Mit jedem Monsun wachsen die Löcher in den Dächern. Gestank frisst sich durchs Treppenhaus. Ecken, Wände und Boden sind rot besudelt: Spuren gekauter Betelnüsse.

Aber hinter den Wohnungstüren öffnen sich andere Welten. Die Birmanen legen großen Wert auf Reinheit, auf Ordnung. Schuhe bleiben draußen, der Boden glänzt. Es riecht nach Fliederspray. Das Geschirr ist säuberlich im Regal gestapelt, in einer Kommode liegen sorgfältig gefaltete Hemden und Schuluniformen. Acht Menschen leben oft in einem Raum, der Wohn-, Schlaf-, Kinderzimmer und Küche ist. Abends reihen sie auf dem Boden ihre Bastmatten eng aneinander.

Ihre Zuhause haben eine lange, wechselvolle Geschichte. Sie haben die Unabhängigkeit 1948 miterlebt, den ersten Militärputsch, den Aufstieg der Junta, die Burma zum verarmten Paria machte und Folter zum Alltag. Sie haben gesehen, wie die Generäle 2010 ihre Uniform gegen Zivilkleidung austauschten, Reformen anleierten und Oppositionelle freiließen – um heute wieder die Zügel straffen, Studentenproteste niederschlagen und ethnische Minderheiten unterdrücken. Und noch immer sind in Rangun keine Mopeds zu sehen: Ein General war angeblich einmal so über einen Motorradfahrer als Unfallgegner erbost, dass er sie in der Stadt einfach verboten haben soll.

So werden die Häuser zum Sinnbild für den Zustand einer Gesellschaft: Zwischen die verfallenen Bauten schieben sich Bürotürme und Shoppingmalls, Kräne ragen aus unzähligen Baustellen und tragen das historische Stadtbild ab. Immer mehr Autos stauen sich in den Straßen, sie sind übervölkert, chaotisch, dreckig. Ein typisches Bild für Rangun heute. Oder gestern. Denn Burmas größte Stadt wandelt sich so schnell wie das ganze Land. So labil die politische und wirtschaftliche Lage, so anfällig ist die Altstadt von Rangun, die heute auch Yangon heißt, Knotenpunkt und Zentrum asiatischer Handelswege war. Doch diese Erinnerung verblasst mit dem Verschwinden der Kolonialbauten, die Hälfte wurde in den vergangenen 20 Jahren abgerissen. Andere werden erhalten, wenn schwerreiche ausländische Investoren dahinterstehen – ein Grund für den Bauboom.

Seit Präsident Thein Sein Ende 2011 begann, das Land politisch und wirtschaftlich zu öffnen, drängen sich immer mehr internationale Firmen auf engem Raum. Büros sind kaum noch zu bekommen, außer in baufälligen, abgelegenen Objekten ohne Notausgänge. Weil es bislang quasi kein funktionierendes Bankwesen gibt, stecken Private wie Unternehmen ihr Vermögen in Immobilien. Und weil in der Regel auch ein Haus bar auf die Hand bezahlt wird, stehen Immobilienbesitzer nicht unter dem Druck von Kreditinstituten und warten mit dem Verkauf, bis der Preis hoch genug ist. Folge: Die Bodenspekulation boomt, die Immobilienpreise übersteigen teilweise die von Manhattan. Allein von 2011 bis 2013 verfünffachten sich die Büromieten laut CBRE (auf 812 Euro pro Quadratmeter). 2014 lagen die Durchschnittspreise in den Hauptstraßen bei bis zu einer Million Kyat pro Quadratmeter, gut 800 Euro. Bei Durchschnittslöhnen von 200 Euro treibt das viele an den Stadtrand. Es gibt auch Pläne, Viertel zu erhalten, allein es fehlt der politische Wille. Sicher, viele Häuser stufte die Stadtverwaltung als nicht mehr sicher ein – ohne Folgen. Weil die Diktatoren das Land isolierten, blieb vieles beim Alten: Wo sonst in Asien findet man eine Metropole, die noch weitgehend vom Globalisierungseinerlei verschont ist?

 An manchen Stellen Ranguns ist die Pracht alter Architektur noch erahnbar (Goldene Shwedagon Pagode).
An manchen Stellen Ranguns ist die Pracht alter Architektur noch erahnbar (Goldene Shwedagon Pagode).(c) imago/imagebroker

Überlagerte einstige Glorie

Es ist eine morbide, keine romantische Schönheit, die nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist. Hinter den bröckelnden Fassaden verbirgt sich noch eine Eleganz und Anmut, die von glorreichen Zeiten einer kosmopolitischen Kolonialstadt erzählen, in der die Briten das Sagen hatten, in der Juden aus Bagdad und Teak-Händler aus Aserbaidschan die Wirtschaft belebten und Chinesen und Inder den größten Teil der Bevölkerung stellten. Bis heute sind die ethnischen Birmanen oft in der Minderheit, werden von der Regierung nicht anerkannt oder gar geschützt, immer wieder finden in anderen Landesteilen Pogrome gewalttätiger Buddhisten gegen die muslimischen Minderheiten statt. Und auch in Rangun fühlen sich viele von ihnen, oft vertrieben aus ländlichen Provinzen, fremd in der eigenen Stadt.

Fremd fühlen sich in der wachsenden Stadt aber auch andere. Wer weiß schon, wer die Leute nebenan sind, wer oben wohnt? Vielleicht ist es eine der jungen Frauen, die im Hotel arbeiten oder in einer Fast-Food-Kette und die, wenn Zeit und Geld reichen, die Zwölfstundenfahrt in die Heimatprovinz antreten? Oder der Inhaber des Copyshops, der Jeans trägt statt des traditionellen Wickelrocks, dem Longhi, und dessen Schwester im Kabel-TV „Psycho“ sieht? Vielleicht sind es seine Kinder, die im Straßenlokal Reis und Fisch servieren und Suppen to go in Plastiksackerln abfüllen.

Und mancherorts lebt die Vergangenheit weiter: Männer mit Zwickern auf der Nase sitzen vor Schreibmaschinen und tippen offizielle Papiere ab, andere laminieren Ausweise oder Konterfeis von Aung San Suu Kyi. Und an manchen Straßenecken sieht man sie tatsächlich noch, die Frauen mit ihren Telefonapparaten. An einem der Stände stehen zwei buddhistische Mönche in ihren roten Gewändern, und man hört das Rrrrrrrttt, als sie an der Wählscheibe drehen. Viele Telefonfrauen haben aber aufgegeben. Sie binden Feuerzeuge an die Telefonschnüre und versuchen, sich mit deren Verleih und anderen kleinen Geschäften über Wasser zu halten. Denn ihre Telefondienste braucht kaum jemand mehr: Fast jeder hat ein Smartphone bei sich: Vor einigen Jahren kostete eine SIM-Karte noch 3000 US-Dollar, vor ein paar Monaten waren es 250, heute einer. Und solang findige Unternehmer noch an Konzepten fürs Online-Banking arbeiten, lebt in Burma die Cash-Economy weiter: Bei der Einreise muss man zwar keine 500 Dollar mehr vorweisen, dafür sollten die Noten aber bestenfalls gebügelt sein – geknickte oder zerknüllte Scheine nehmen selbst Straßenhändler nicht an. Die meisten Supermärkte haben Tresore im Sortiment, und wer ein Haus kauft, misst die Summe gern mit einem Zollstock ab.

Kapital strömt herein

Es ist keine fröhliche Atmosphäre. Die Leute sind freundlich, echt freundlich. Ehrlich. Sie versuchen nicht, Touristen übers Ohr zu hauen. Sie sind auch schlecht im Handeln. Aber still, zurückhaltend, als würden sie dem Ganzen nicht trauen, wüssten nicht, was sie davon zu halten haben. Irgendwo zwischen gerunzelter Stirn und Hoffnung, zwischen den Nachwehen einer jahrzehntelangen Militärdiktatur und dem Versprechen eines diffusen Goldenen Zeitalters.

Rechnet man in Dollar, dann ist dieses Zeitalter schon angebrochen. Denn seit das Militärregime das Land nach Jahrzehnten der Isolation geöffnet hat, strömt internationales Kapital herein. Die reiche Oberschicht trifft sich in BMW-Showrooms. Heineken, Carlsberg sind vor Ort, Unilever hat eine Knorr-Fabrik hochgezogen. Auf der Eisenbahnbrücke der Sule Pagoda Road hat Coca-Cola auf einer zehn Stockwerke hohen Werbetafel seine Flaschen platziert, darunter macht die Kurbel einer Zuckerrohrsaftpresse den Motoren von Mercedes und Toyota Konkurrenz, in denen westliche Manager mit Jetlag trotz fehlender Rechtssicherheit, Investitionsschutzes und mangelnder Infrastruktur vom großen Geschäft träumen.

Sie stecken Geld in Bauprojekte, Wohnungen, Autobahnen oder Einkaufszentren, denen traditionelle Märkte weichen – oder architektonische Glanzstücke aus der Zeit des British Empire, darunter Regierungsgebäude, die mit dem Umzug in die neu errichtete, knapp 400 nördlich gelegene Hauptstadt Naypyidaw ab 2005 verwaisten. Vorzeigeprojekt ist der ehemalige Hauptsitz der Burma Railways von 1877 im Zentrum. Der viktorianische Prachtbau steht schon jetzt eingeklemmt zwischen Hotels, Bürotürmen, Kondominien. Gerade für Nobelhotels sind die Geschäftsleute ein Segen: Zimmerpreise explodierten in nur einem Jahr laut German Trade & Invest um fast 300 Prozent auf durchschnittlich 157 US-Dollar, immer mehr Luxushäuser kommen dazu. Auch sonst haben Baufirmen Mühe, mit den Touristenzahlen mitzuhalten: Laut Tourismusministerium kamen vor 2010 auf dem Flughafen Rangun nicht einmal 250.000 Touristen an. 2015 waren es 4,5 Millionen, bis 2020 werden es 7,5 Millionen sein, die zehn Milliarden Dollar ins Land spülen.

Und selbst zahlreiche Punks passen ins Bild: Sie schnorren keine Zigaretten, trinken selten Bier. Dafür sieht man sie in Teestuben und unter der Straßenüberführung der Anawratha Road, ganz in der Nähe der goldenen Sule-Pagode: Hier machen sie mit eigenhändig mit Nieten besetzten Gürteln oder Hosen, T-Shirts und Schmuck ihr Geschäft. Kopf der neuen Generation der Punks ist Pyoe: „Die Leute sind offener geworden. Die erste Generation von Punks musste noch den Staat fürchten.“ Aber auch wenn die Irokesenfrisur mithilfe seiner Mutter entstanden ist – vieles hat sich für die Menschen doch nicht verändert: Wenn Pyoe abends den Stand abgebaut hat, geht er heim, breitet seine Bastmatte aus und schläft zwischen Mutter, Vater, Tante und vier Geschwistern in einer Einzimmerwohnung in der 19. Straße.

Rangun in Kürze

Flug. Z. B. ab Wien mit Emirates via Dubai

Hotels. Strand Hotel: 1901 von Sarkie Brothers erbaut, Kolonialambiente
Shangri-La: Oberklasse. Angeblich beste Internetverbindung der Stadt.
Kaung Lay Inn: individuell eingerichtete Zimmer, Frühstück auf der Dachterrasse.
Chan Myaye Guesthouse: ungemein freundlicher Familienbetrieb

Lokale. Monsoon: Umfangreiches Menü aus SO-Asien in gepflegter Atmosphäre.
999 Shan Noodle Shop: Kleines Lokal mit authentischer und günstiger Küche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2017)

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