Süditalien: Und die Pasta trocknete im Wind

 Amalfitana
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Im Frühjahr und im Herbst ist es ruhig an der berühmten Amalfitana-Küstenstraße. Eine gute Zeit zum Cruisen und Durchkosten.

Italiens heimliche Hauptstadt liegt südlich von Neapel. Auf dem Weg dorthin lässt man Berühmtheiten wie den Vesuv und die Ruinen von Pompeji links liegen und steuert auf der Autostrada die ersten Hügel der sorrentinischen Halbinsel an. Gragnano fällt auf den ersten Blick nicht wirklich auf – eine Knapp-30.000-Einwohnerstadt mit verschlungenen Gassen, in denen Vespas und Cinquecentos waghalsige Millimeterarbeit leisten. Süditalienischer Alltag.
Aber Gragnano ist auch das Epizentrum italienischer Lebensart und Schatzkammer des guten Geschmacks. Hauptstadt der Pasta wird sie genannt, denn nirgendwo gibt es so viele und so gute Nudeln. Keine billige Industrieware. Seit einem halben Jahrtausend fertigen Bewohner Pasta, heute beherbergt die Stadt mehr als ein Dutzend Manufakturen, in der Blütezeit waren es 300 Betriebe. Der Laden von Pasta Gentile im Zentrum ist auch ein Degustationsraum, wo Juniorchef Alberto davon erzählt, was das Besondere der Pasta von Gragnano ist, die als Einzige das europäische Prädikat IGP bekommen hat, die geschützte geografische Angabe. „Wir haben hier mit der Nähe zum Meer und den Winden von den Bergen ein spezielles Mikroklima, das seit vielen Generationen für die Pastaherstellung genutzt wird“, erklärt Alberto.

Langsam reifende Nudeln

Das Getreide wurde in Mühlen gemahlen, zu Pasta verarbeitet und diese zum Trocknen an der Straße aufgehängt. Die Via Roma wurde sogar extra so angelegt, dass der Wind von den Bergen einen Kamineffekt erzeugte. Bis zu einer Woche hing die Pasta an der Straße. „Aber in den 1950er-Jahren mit dem aufkommenden Autoverkehr ging das nicht mehr, und man stellte um auf Maschinen mit Heizung und Gebläse, die den Vorgang simulierten“, ergänzt Alberto. Bei Gentile wird die Pasta heute halb maschinell und halb manuell gefertigt, dann zum Trocknen drei Tage aufgehängt. „Im Unterschied zu Industriepasta, die in nur acht Stunden bei großer Hitze getrocknet wird, reift die Pasta bei uns langsam“, sagt Alberto.

Kurve, Kurve, Kurve

Nur wenige Kilometer von Gragnano entfernt schlängelt sich die berühmte Amalfitana an der Südküste der sorrentinischen Halbinsel entlang. Die Strada Statale 163, wie sie offiziell heißt, ist eine der spektakulärsten Küstenstraßen weltweit, eine der kurvenreichsten und in den Sommermonaten auch eine der frequentiertesten. Von Juni bis Anfang Oktober kriechen Autos und Kleinbusse vor allem zwischen Positano und Amalfi im Fußgängertempo von Kurve zu Kurve, während Einheimische mit ihren Vespas einen Slalom durch die Blechlawine fahren. Autofahrer aus der Region erkennt man daran, dass sie ihre Außenspiegel immer eingeklappt haben.
Die Amalfitana ist nicht nur eine Schönheit, sie hat auch innere Werte. Hier in der Heimat der Dieta Mediterranea, der Mittelmeerdiät, die seit 2010 zum Immateriellen Unesco-Kulturerbe der Menschheit gehört, kann man sich außerhalb der Saison ganz entspannt auf Spurensuche begeben. Bei der Fahrt von Sorrent bis Salerno begegnet man vielen Spezialitäten: Mozzarella di Bufala aus der Gegend von Salerno, San-Marzano-Tomaten, Limonen von Amalfi, mit denen der Limoncello produziert wird und die im Volksmund ihrer spindelartigen Form wegen Sfusato heißen, oder die Sardinen von Menaica, die in Holzfässern mit Salz viele Monate lagern.

Die erste Etappe von Castellamare nach Sorrent dient der Gewöhnung an die enge Kurven, und auch daran, dass man als Fahrer nicht zu oft die Aussicht genießen sollte. Und wenn, nur bei einem Stopp, was bei den wenigen Parkplätzen nicht einfach ist. Außer man kommt am Ende der Saison, kreuzt die Halbinsel und cruist ein paar Kilometer über die Berge auf die Südküste bis Positano. Das Casa e Bottega ist ein erfrischender Zwischenstopp, eine Mischung aus kleinem Bio-Ristorante mit Saftbar und Dekoshop, verspielt und nicht unangenehm kitschig und vor allem etwas abseits der Masse oberhalb des Zentrums von Positano. In der Fußgängerzone von Amalfi gleich neben dem Dom steht die nostalgische Pasticceria Pansa, ein kalorienreiches und verführerisches Geschäft mit Unmengen von Colombe, Panettone, Pralinen und Schokolade. Ein Klassiker ist der Caprese-Mandelkuchen.

Jede Menge Hochzeiten . . .

Vom östlichen Ortsrand von Amalfi führt eine schmale Straße hinauf nach Ravello. Das Bergdorf ist die Bellezza der Amalfitana: verschlungene kleine Gassen rund um den Dom, elegante Villen und Palazzi mit Fünfsternehotels. Hier ist alles etwas exklusiver als unten in Amalfi und Positano. Und die Aussicht einfach spektakulär.
Im Herbst wird Ravello von vielen Engländern und vor allem von Hochzeitsgesellschaften bevölkert. „Vergangenen Samstag hatten wir an einem Tag elf Hochzeiten“, sagt die Kellnerin im Café an der Piazza und grinst. Ein Muss ist der Spaziergang durchs Dorf vorbei am Kloster Santa Chiara zur berühmten Villa Cimbrone. Die feudale Immobilie mit ihrem weitläufigen Park wurde vor mehr als 100 Jahren von einem schottischen Adligen umgebaut und zu einem Kulturzentrum gestaltet. Heute ist der Park mit dem Belvedere, der Plattform mit Marmorbüsten und der wahrscheinlich besten Aussicht auf die Küste in Ravello die Sehenswürdigkeit schlechthin. Die Villa selbst beherbergt ein selbst für amalfitanische Verhältnisse ziemlich teures Fünfsternehotel.

. . . und Sterne

Ein anderer Ravello-Klassiker ist die Via S. Giovanni del Toro, wo ein teurer Hotelpalazzo neben dem anderen steht. Hier ist auch der Arbeitsplatz von Michele Deleo, Küchenchef im michelinbesternten Palazzo Avino. „Wir haben uns hier ganz auf die regionalen Spezialitäten konzentriert, kochen international mit Zutaten aus der Umgebung. Das ist, was die Gäste hier suchen“, sagt Michele und gibt noch einige Tipps mit auf den Weg: Die Tomaten aus Corbara bei Salerno und die Cuor di Bue, Ochsenherztomaten aus Sorrent, sollte man sich nicht entgehen lassen. Und dann wäre ein Abstecher zu Sal de Riso in Tramonti im Hinterland von Amalfi noch unbedingt empfehlenswert. Sal de Riso klingt nach Salz und Reis, steht aber für Salvatore Riso, der dort eine hochdekorierte Pasticceria betreibt. Auf der Amalfitana weiter Richtung Salerno nimmt der Verkehr immer mehr ab, bis man schließlich in Cetara landet. Ein Fischerdorf wie aus einer TV-Romanze mit kleinen Gassen und gemütlichen Lokalen, einem Sandstrand, was in dieser Gegend selten ist, und natürlich mit kulinarischen Adressen. Im Ristorante Acquapazza erklärt Küchenchef Gennaro Marciante, der mit seinem Cousin Gennaro Castiello das Lokal führt, die Besonderheiten der Colatura di Alici di Cetara. Dafür werden frisch gefangene Sardellen geputzt, ausgenommen, mit viel Salz in Holzfässern gelagert und gepresst. Die Flüssigkeit, die dabei austritt, wird gesammelt und in die Sonne gestellt, um dicker zu werden. Diese Colatura ist ein sehr spezielles und populäres Gewürz und wird wie Salz verwendet, Gennaro vergleicht sie auch mit echtem Balsamico. Wobei eine Flasche mit 15 Euro nicht ganz so teuer ist. Spaghetti mit Colatura ist ein Klassiker auf der Speisekarte des Acquapazza. Die Leute in Cetara sind stolz auf ihre Tradition. „Hier im Dorf leben 60 Prozent von der Fischerei, und hier gibt es nur ein einziges Hotel oben an der Hauptstraße“, verrät Gennaro.

Kompensierende Limone

Die letzte Etappe führt nun an der immer flacher werdenden Küste entlang bis zum nostalgischen Dorf Vietri sul Mare und weiter ins Zentrum von Salerno. Rechts bauen sich dicke Kreuzfahrtschiffe auf, und links verirrt man sich in den Gassen der von den Römern begründeten Altstadt. Salerno ist mit 130.000 Einwohnern Hafenstadt und hat wenig mit Tourismus zu tun. Hier gibt es ganz normalen süditalienischen Alltag, den man in Amalfi und Positano nicht findet. Und ein Lokal, das Kulinarik und Kultur fein kombiniert: In der Salumeria Botteghelle 65 in der Via Botteghelle wenige Schritte vom Dom entfernt kann man Salami, Käse, Olivenöl und vieles mehr einkaufen, speisen, einschlägige Literatur lesen, Kurse zu regionalen Spezialitäten buchen und Ausstellungen besichtigen. „Die Salumeria wurde schon 1919 gegründet“, erzählt Inhaber Pino Adinolfi und bietet eine Kostprobe, bevor man sich wieder auf den Rückweg Richtung Napoli auf der Autostrada macht: Frittata di Maccheroni, ein Maccheronikuchen, der kalt wie warm schmeckt. „Wenn die Leute früher kein Fleisch dafür hatten, wurde er mit Limonen angereichert, damit er mehr Geschmack bekommt“, erklärt Pino. Fast Food auf klassisch Süditalienisch.

Amalfitana

Wohnen: Sehr schöner Standort ist Ravello. Hotel Parsifal in einstigem Kloster. www.hotelparsifal.it

Hotel Rufolo: Elegant im Zentrum neben der berühmten Villa Rufolo. www.hotelrufolo.com

Essen: Acquapazza in Cetara,
www.acquapazza.it; La Caravella in Amalfi, www.ristorantelacaravella.it

Info:www.turismoinsalerno.it
Reisen an die Costiera Amalfitana bietet u. a. Italien Erleben, www.italien-erleben.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 3.6.2017)

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