Tschechien

In den tschechischen Highlands

TŘEBÍČ
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Einer der Gründe, warum sich der Tourismus voll auf Prag konzentriert, sind die komplizierten tschechischen Namen von Orten und Regionen, die kein Ausländer aussprechen, geschweige denn sich merken kann.

Dies trifft besonders für die kleine, aber feine Region Vysočina (Hochland) zu. Das Aushängeschild der Region sind die Biathlonbewerbe in Nové Město na Moravě, am ehesten bekannt ist die Stadt Jihlava (Iglau). Der Geheimtipp in der Region ist die Třebíč (Trebitsch) zirka 50 Kilometer nordöstlich von Znojmo (Znaim). In intellektuellen Kreisen wird Třebíč als geheime Kulturhauptstadt Tschechiens bezeichnet. Gleich zwei Eintragungen in die Unesco-Liste des Weltkultur- und Naturerbes der Menschheit hat die 37.000-Einwohner-Stadt vorzuweisen: das jüdische Viertel und die Basilika St. Prokop. Beide wurden ab 2003 aufwendig renoviert.

Betritt man das Ghetto, beginnt für die Besucher eine traurige, aber faszinierende Zeitreise. Das Viertel ist zusammenhängend erhalten und umfasst 120 Gebäude, darunter das Rathaus, die Schule, das Rabbinat, das Armenhaus sowie zwei Synagogen. Der Kreativität der Einheimischen ist es zu verdanken, dass das Flair von seinerzeit noch immer spürbar ist. Die meisten Häuser wurden revitalisiert und sind heute wieder bewohnt. Kleine Geschäfte wie zum Beispiel ein Kolonialwarenladen, ein Antiquitätengeschäft oder Minicafés mit nur einem oder zwei Tischen sorgen dafür, dass die Geschichte lebendig bleibt. Die ersten Juden siedelten sich in Třebíč im 14. Jahrhundert als Handwerker an. Sie durften aber bis 1618 nur als Gerber, Händler und Geldverleiher arbeiten. Trotz der diskriminierenden Bestimmungen entwickelte sich das Viertel bis Anfang des 19. Jahrhunderts mit 1170 Einwohnern zum größten Ghetto Mährens. 1848 erhielten die Juden die vollen Bürgerrechte, in der Folge wanderten viele in Großstädte wie Wien, Prag und Brünn ab.

Die letzte Zeitzeugin

Das Judenviertel wurde zu einem Arbeiterviertel und verfiel. Die wenigen verbliebenen Juden wurden im Zweiten Weltkrieg verschleppt, nur zehn überlebten. Zurzeit gibt es noch eine lebende Zeitzeugin.

Für die Besucher wurde in der Hinteren Synagoge das Ghetto in Modellform nachgebaut, man kann mithilfe eines Touchscreens die Geschichte der einzelnen Häuser abrufen. Das Viertel liegt terrassenförmig auf einem Hügel, auch die Wege und schmalen Straßen sind zum Teil noch original.

Nicht entgehen lassen sollte man sich eine absolute Rarität: das noch original erhaltene jüdische Ritualbad Mikwe aus dem 17. Jahrhundert im Keller der Firma Kapucin. Steigt man auf den Hügel des Ghettos, wartet mit dem jüdischen Friedhof die nächste Attraktion. Auf fast 12.000 Quadratmetern mit fast 11.000 Gräbern und 3000 Grabsteinen (die ältesten stammen aus dem Jahr 1625), darunter auch einige im barocken und klassizistischen Stil, zählt der Friedhof zu einem der am besten erhaltenen und größten jüdischen Grabstätten in Europa. Das jüdische Viertel ist nach Jerusalem das einzige, das separat in die Unesco-Liste aufgenommen wurde.

Die Zwergengalerie

Die Basilika St. Prokop ist nur einige Gehminuten vom Ghetto entfernt, sie ist der einzig erhaltene Bau des im zwölften Jahrhundert von den Benediktinern gegründeten Klosters Mariä Himmelfahrt. Die Kathedrale lässt einen ehrfurchtsvoll staunen. Man tritt durch ein romanisches Tor, das durch einen Vorbau, eine Säulenhalle, gegen Wettereinflüsse geschützt ist. Das Tor selbst wird von zehn imposanten, mit geometrischen und floralen Sandsteinornamenten verzierten Säulen eingefasst. Im Inneren faszinieren die dreischiffige Säulenkrypta, das runde Rosettenfenster im Ostteil der Apsis, der mit einem doppelten achtteiligen steinernen Gewölbe überspannte Chor und das Gewölbe des Presbyteriums mit Kreuzsteinwölbung. Weltweit einzigartig ist die sogenannte Zwergengalerie, ein schmaler Umgang im Ostteil der Kirche mit fünfteiligen Fenstern.

Ein Schmuckstück ist nicht nur die jüdische Altstadt, sondern auch der Karlsplatz, der mit 2,2 Hektar zu den größten Plätzen Tschechiens zählt und der sich eingekreist von historischen Gebäuden präsentiert, etwa vom „Schwarzen Haus“ aus der Renaissance, in dem man ein noch gänzlich restauriertes und funktionierendes Stereoskop (Vorgänger des Kinos) aus dem 19. Jahrhundert besichtigen kann. Für kontaktfreudige Touristen empfiehlt sich im „Katzenviertel“ östlich der Jihlava das Kocka(Katze)-Pub. Dort trifft man die intellektuelle Szene von Třebíč, jeden Samstag findet um 20 Uhr ein öffentlich zugängliches internationales Stammtischtreffen statt. Hier treffen sich Tschechen mit Menschen von allen Kontinenten, die es nach Třebíč verschlagen hat, es wird politisiert, diskutiert und die Welt wird verbessert – je nach Promille und Uhrzeit. Alles in allem ist Třebíč ein absolutes Must für Romantiker und Kulturliebhaber.

TŘEBÍČ

Hotels: Hotel Joseph 1699, Skalní 85/8, CZ-674 01 Třebíč, www.joseph1699.cz/home-1.

Hotel Atom, Velkomeziříčská 640/45, CZ-674 01 Třebíč, www.hotelatom.cz/de .

Restaurants:

Restaurant Coqpit, CZ-67401, Havlíčkovo nábřeží 146/39, Třebíč – Zámostí, http://restaurant-coqpit.cz.

Restaurace a Jidelna Trebicanka (Tschechische Küche), Karlovo náměstí 41, CZ-674 01 Třebíč, www.trebicanka.cz/en.

Kultur:

www.czechtourism.com/de/c/trebic-unesco/

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2017)

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