St. Moritz: Luxus für Menschen mit Bewegungsdrang

Mit der Bahn auf Muottas Muragl.
Mit der Bahn auf Muottas Muragl.(c) Schweiz-Tourismus
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Das Engadin besinnt sich auf seine touristischen Wurzeln und zeigt sich als Sommerfrische für Sportler von seiner Schokoladenseite.

Die Gefahr, in St. Moritz von einem Lamborghini oder Rolls-Royce überfahren zu werden, ist zwar nicht besonders groß (das langsame und damit sichere Cruisen dient dem Sehen und Gesehen-Werden) –, aufgrund der Dichte an Nobelkarossen im Straßenbild aber immerhin gegeben. Und das nicht nur im Winter, wenn sich die Hautevolee zum Skifahren (die ganz Mutigen sogar zum Bobfahren) trifft, sondern auch im Sommer, wenn es deutlich ruhiger, aber nicht minder schön in diesem hoch gelegenen Tal ist. Auf den ersten Blick erscheint der 5000-Seelen-Ort dann zwar nicht ganz so mondän wie erwartet – neben ein paar Bausünden, die das Dorfidyll trüben, sind in der warmen Jahreszeit die Baufirmen aktiv und versuchen, so schnell wie möglich alles zu erledigen, denn im Winter darf kein Baukran mehr die Sicht auf Schnee und Berge verstellen. Das Städtchen erweist sich aber als gastfreundlicher und überaus komfortabler Ausgangspunkt für sportliche Aktivitäten in der Umgebung.

Das Downhill-Biken ist nur Kennern zu empfehlen.
Das Downhill-Biken ist nur Kennern zu empfehlen. (c) Schweiz-Tourismus

Auf 1822 Metern liegt es am St. Moritzersee. Er ist der kleinste der Oberengadiner Seen, aber groß genug für die hübschen Segelschiffe, die hier im Malojawind kreuzen – ohne dass ihnen Kitesurfer in die Quere kommen. Sie haben im Gewässer vor St. Moritz nichts verloren, dürfen dafür aber den nahe gelegenen Silvaplanersee ganz für sich allein haben. Eine rigorose, aber sinnvolle Trennung – und von der verlässlichen Brise, die im Lauf des Vormittags vom Maloja-Pass kommend heranweht und meist erst bei Sonnenuntergang wieder abflaut, profitieren die Wassersportler da wie dort.

Rauf auf den Berg

Überhaupt ist St. Moritz auch im Sommer ein Ort für Menschen mit Bewegungsdrang. Es zieht einen geradezu hinauf auf die umliegenden Berge. Und die Schweizer sind so nett und machen's einem mit ihren Aufstiegshilfen recht bequem. Eine feuerwehrrote Standseilbahn karrt Wanderlustige über 700 Höhenmeter auf Muottas Muragl. Von hier kann man die Seen im Tal überblicken, und die gegenüberliegenden Gletscher und Bergketten bis zum berüchtigten Biancograt, der auf den Piz Bernina führt und nur für hochalpine Könner zu empfehlen ist. Auf den Spuren Giovanni Segantinis wandern kann von hier aus hingegen jeder, der die Bergschuhe im Gepäck hat und es aushalten kann, ein wenig aus der Puste zu geraten: Denn der berühmte Maler mit der Vorliebe für Gebirgslandschaften verbrachte seine letzten Lebensjahre im Oberengadin. Er starb – vermutlich an einer Blinddarmentzündung – in einer Berghütte, die noch heute seinen Namen trägt: Von Muottas Muragl geht es knapp dreihundert Höhenmeter hinauf auf die Segantinihütte mit ihrer kulturellen Vergangenheit und ihrem lustigen Toilettencontainer, der mit seiner weithin sichtbaren patriotischen Bemalung (weiße Kreuze auf rotem Grund) nur noch einmal unterstreicht, wo sich der Wanderer gerade befindet.

Segantinihütte mit Panorama-Klo und Pflanzschuh
Segantinihütte mit Panorama-Klo und Pflanzschuh(c) Schweiz-Tourismus

Die Schweizer beflaggen auch ihre Häuser und Hotels gern – und das nicht nur am Nationalfeiertag. Man ist sichtlich stolz auf die Heimat und das, was sie zu bieten hat. Steinböcke zum Beispiel. Ein imposantes Exemplar mit fast bedrohlich erhobenen Vorderhufen und herausgestreckter roter Zunge ziert auch das Wappen von Graubünden – dem Kanton, zu dem das Engadin gehört.

Steinböcke schmuggeln

Das Tier war hier wie anderswo in den Alpen lang heimisch – doch es wurde so sehr geschätzt, dass man es ausgerottet hat. Denn der Steinbock galt als wandelnde Apotheke. Die Späne der Hörner sollten gegen Krämpfe, sein Blut gegen Blasensteine helfen. Um 1650 war der Steinbock deshalb in weiten Teilen der Alpen verschwunden. Nur im Aostatal in Italien überlebten einige Tiere. Ein paar davon hat man vor etwa hundert Jahren ins Engadin geschmuggelt – mit Erfolg.

Heute leben etwa 6000 Capricorns (so heißt der Steinbock auf Rätoromanisch) in Graubünden, in den gesamten Alpen dürften es 45.000 sein. Von Pontresina aus gibt es eigene Wanderführungen, bei denen sich die Teilnehmer auf die Suche nach den imposanten Tieren machen, die sich oft im unwegsamen Gelände rar machen, um dann wieder ziemlich keck bis fast an die Straße zu spazieren. Mittlerweile gibt es jedenfalls wieder so viele Steinböcke, dass eine limitierte Anzahl sogar zum Abschuss freigegeben ist. Doch hierfür gelten strenge Regeln. Eine davon lautet: Erst muss ein Weibchen erlegt werden, bevor ein männliches Tier geschossen werden darf – die würden sonst überdurchschnittlich dezimiert. Das mächtige Geweih ist eine begehrte Trophäe – auch noch in Zeiten, in denen man ihm keine Wunderwirkung mehr zuschreibt.

Wandern zu Steinböcke.
Wandern zu Steinböcke.(c) Schweiz-Tourismus

Was in der Gegend wirklich bemerkenswert ist: Man kommt überall mit dem Bus oder – noch viel schöner – mit dem Zug hin. Nicht nur die weiten Strecken, von Zürich geht's mit Umsteigen in Chur in gut dreieinhalb Stunden nach St. Moritz. Die Fahrt ab Chur ist ein Teilstück der Linie, die der Glacier-Express (er führt von Zermatt nach St. Moritz und zurück) befährt. Wer Glück hat, reist in einem der Waggons, deren Panoramafenster einen noch weiteren Blick auf die Bergkulisse freigeben, während eine Tonbandstimme auf die Sehenswürdigkeiten hinweist, damit man keine spektakuläre Brücke und keinen Berg verpasst.

„Gletschermutschli“ rühren

Auch die Schaukäserei Morteratsch ist mit der Rhätischen Bahn gut zu erreichen. Schon am frühen Morgen wird hier damit begonnen, die frische Milch in einem großen Kupferkessel zu verarbeiten. Sie wird erhitzt, mit Milchsäurebakterien und Lab versetzt, darf ruhen, wird dann mit der sogenannten Käseharfe geschnitten und etwa 45 Minuten lang geduldig und langsam gerührt und erhitzt, bis die sich bildenden Käsekörner so klein sind, dass sie in die Presssteine gelegt werden können, wo sie ihre endgültige Form erhalten: Reifen lassen und fertig ist der „Gletschermutschli“, der hier neben Speck, Frischkäse, Gemüse und Joghurt zum deftigen Brunch serviert wird.

Was das Essen betrifft, ist man in dieser Region ohnehin gut aufgehoben. Es gibt für jeden Geschmack und jede Brieftasche etwas: einfache Hausmannskost auf der Berghütte, riesige Cremeschnitten (auf der Alp Languard hoch über Pontresina empfiehlt es sich, erst einmal mit einer halben Portion anzufangen), feinsten Kaviar vom Glattfelder, Engadiner Nusstorte vom Hauser und natürlich jede Menge Luxusgastronomie. Das traditionsreiche wie noble Palace-Hotel, das seit 1896 Gäste beherbergt, betreibt in der nahe gelegenen Chesa Veglia, einem der ältesten Gebäude von St. Moritz, drei Restaurants und zwei Bars. Hier tafelt man in gemütlicher und geschichtsträchtiger Atmosphäre. In der Enoteca im Hotel Kempinski hängen die Schinken über dem Tresen, und Dutzende leer getrunkene, von den Gästen signierte Weinflaschen zieren die Weinregale – als Andenken an ganz besondere Abende.

Downhill – mit Vorsicht!

Sommer in St. Moritz

Es ist schon etwas Besonderes, wenn man nach einem sportlichen Tag den Komfort eines Fünfsternehauses genießen darf. Dann ist alles vergessen – vom Regenschauer bis zum Köpfler vom Mountainbike. Die Downhillstrecken haben's in sich, und wer noch nie auf einem Mountainbike gesessen hat, der sollte den Hausberg, die Corviglia, lieber nicht über die Flowtrails hinunterflitzen. In die Alto Bar, die in einer alten Gondel einquartiert ist und einen herrlichen Blick über das Tal bietet, kommt man auch mit der Seilbahn oder zu Fuß – und der frisch gegrillte Burger schmeckt besser ohne aufgeschürfte Knie. Sei's drum! Die Kombination aus Natur, Sport und Luxus funktioniert auch im Sommer prächtig. Und man kann ja auch nur wegen der Mauritius-Quelle kommen. Das Wasser schmeckt zwar scheußlich nach Eisen, soll aber sehr gesund sein.Anreise. Recht komfortabel kommt
man von Wien mit Swiss-Air und Austrian nach Zürich. Die Bahnfahrt nach St. Moritz dauert dreieinhalb Stunden und führt ab Chur mit der rätischen Bahn über die landschaftlich spektakuläre Glacier-Express-Strecke (MySwitzerland.com/Panorama).


Aktivitäten. Segeln, kitesurfen, mountainbiken auf 400 Kilometern Singetrails und markieren Routen, 580 Kilometer Wanderwege. Es gibt auch geführte Wanderungen (gratis) – zum Beispiel, um von Pontresina aus nach Murmeltieren und Steinböcken zu suchen (bis Mitte Oktober immer freitags um neun Uhr; mit Anmeldung:
+41/(0)81/838 83 00).


Ausspannen. St. Moritz hat eine besonders hohe Dichte an gehobener Gastronomie und Hotellerie. Das Kempinski Grand Hotel des Bains (kempinski.com/st.moritz) liegt direkt an der bekannten Mauritius-Quelle.
Die 2800 Quadratmeter Luxus-Spa-Bereich sind auch für Tagesgäste zugänglich.

Compliance-Hinweis. Die Reise erfolgte auf Einladung von Schweiz Tourismus (MySwitzerland.com).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2018)

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