Die dem Löwen den Hintern küssen

Katalonien. Aus den Vulkantälern ans Meer: Radfahren auf einer ehemaligen Bahntrasse.

Eigentlich ist es an der Zeit, dass wieder mal einer ausbricht", sagt Josep Planellas. "Unsere Vulkane waren im Abstand von etwa 10.000 bis 15.000 Jahren regelmäßig aktiv." Der letzte Ausbruch sei immerhin schon mehr als 11.000 Jahre her.

Doch der Wandertrupp stapft angstfrei über die Ausläufer der Lavazunge des Crusar, jenes Vulkans, der als letzter aktiv war. Über mehrere Kilometer haben sich die fußballgroßen, scharfkantigen schwarzen Lavabrocken in die Talebene gewälzt. Ernsthaft scheint auch Josep nicht an einen baldigen Ausbruch zu glauben. Sonst würde er nicht in Spuckweite des Crusar Fahrräder an Touristen vermieten.

Wir sind in der Garrotxa in Katalonien, einem Landstrich knapp 100 Kilometer Luftlinie nördlich von Barcelona am Fuße der Pyrenäen gelegen: Drei Dutzend schlafende Vulkane prägen den Charakter dieses "unwegsamen Geländes", was Garrotxa übersetzt bedeutet. So unwegsam wie im 19. Jahrhundert, als sich Kriminelle hier versteckten, ist die Garrotxa jedoch schon lange nicht mehr. Die sanften Täler zwischen den Bergen sind kultiviert, die Vulkanberge allerdings haben ihre Wildheit bewahren können. Kein Wunder, wenn die Garrotxa als reizvolles Wanderrevier gilt.

Ebenso kommod, aber etwas schneller erschließt sich die Garrotxa per Veloziped: auf einer sogenannten Via Verde, einem "grünen Weg". Dabei handelt es sich um Wege auf ehemaligen Eisenbahnstrecken, auf denen Radfahrer die Hoheit über vereinzelte Jogger haben.

Unsere Route verläuft größtenteils auf der Trasse der Schmalspurbahn, die bis Ende der 60er-Jahre von Olot hinunter bis nach Sant Feliu de Guíxols an der Costa Brava fuhr. Olot liegt etwa 450 Meter über dem Meeresspiegel im Zentrum der Garrotxa. Einige der Vulkankrater sind als solche nicht mehr zu erkennen: Sie sind erodiert und wieder flächendeckend bis an ihre Ränder mit Bäumen bewachsen, eine Folge des häufigen Niederschlags. "Hier regnet es so viel, dass die Garrotxa das Urinal von Katalonien genannt wird", erzählt Josep.

Sportliche Pedalritter dürften für die knapp 100 Kilometer von Olot bis ans Mittelmeer nicht länger brauchen als die Dampflok früher. Diese benötigte für die Strecke mit "etwa anderthalb Dutzend Zwischenstopps" rund fünf Stunden, erzählt der 52-jährige Guide.

Nach Querung der Vulkanzunge des Crusar hinter Olot verläuft der Weg durch ein breites Tal. Außer dem Rauschen des Flüsschens neben uns, dem Gezwitscher von ein paar Finken und unserem eigenen Geplapper ist hier kein Laut zu hören. Einige Kilometer später führt die Route kurzzeitig parallel zu einer Landstraße. Für dieses Manko wird man mit einem Panoramablick auf die verschneiten Gipfel der Pyrenäen am Horizont aber mehr als entschädigt. Weiter geht es vorbei an Äckern und Kuhweiden, Pferdekoppeln und uralten Bauernhöfen aus Bruchstein.

Viel los ist auf den Vias Verdes nicht. Nur in der Nähe der Dörfer nutzen alte Männer den Weg zu kleinen Spaziergängen mit ihresgleichen oder mit ihren Hunden.

In manchen Orten am Weg versuchen Restaurants die Radtouristen mit "vulkanischer Küche" zu einem ausgedehnten Zwischenstopp zu verleiten: Aus regionalen Produkten kreieren fantasievolle Köche in der Garrotxa nach katalonischer Tradition unterschiedliche Varianten von "Mar y Muntanya". Mar y Muntanya heißt Meer und Berg. Ergebnis der eigenwilligen Kochkünste sind ungewöhnliche Fleischkombinationen wie etwa Wildschwein mit Lachs oder Weißfisch an Huhn.

Meist gehe es mit leichtem Gefälle bergab, hatte Josep zu Beginn der Tour gesagt, als er die Fahrräder verliehen hat. Den Anstieg hinter dem Dorf Les Preses hat er allerdings verschwiegen. Zur höchsten Erhebung der Tour, dem Col d'en Bas auf 620 Metern Höhe, geht es in Serpentinen immerhin einige Kilometer bergauf. Für durchschnittlich geübte Genussradler kein Problem, wohl aber für den etwas korpulenten Kettenraucher in der Gruppe. Mit einem Affenzahn saust der Trupp auf der anderen Seite wieder bergab, durch alte Steineichenwälder, schattige Schluchten und modrige Tunnels, an verlassenen Kirchlein und verschlafenen Dörfern vorbei.

Genießen ist die Devise, wir nehmen uns für die Strecke bis ans Meer zwei Tage Zeit und übernachten auf der Hälfte des Weges in Girona. Am Rand des historischen Stadtzentrums klammert sich in etwa zweieinhalb Metern Höhe ein marmorner Löwe an einen Pfahl. "Wer den Löwen auf sein Hinterteil küsst, ist vor Unglück geschützt", erläutert ein Stadtführer.

Außer mit seiner geschichtsträchtigen Altstadt kann sich Girona übrigens rühmen, Wahlheimat des sechsfachen Tour de France-Siegers Lance Armstrong zu sein. Tags darauf halten wir Ausschau, ob wir den Champ beim Training treffen. Vergebens, Armstrong sind die Vias Verdes nicht steil genug.

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