Kreuzfahrten: Wenn die Deutschen die Minderheit sind

Kreuzfahrten Wenn Deutschen Minderheit
Kreuzfahrten Wenn Deutschen Minderheit(c) EPA
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Die US-Reederei NCL lockt Deutsche mit schönen Mittelmeerfahrten zu Tiefstpreisen. Die stark umworbenen deutschsprachigen Passagiere klagen freilich über mangelndes Service und zu schrilles Design an Bord.

Für Martina und Uwe Lampe war es Liebe auf den zweiten Blick: Beim Besuch der Queen Mary 2 gehörten sie zu den 500.000 „Sehleuten“ in Hamburg, spürten aber noch keine Fernweh-Nebenwirkungen. Die setzten erst ein, als die „Norwegian Gem“ 2007 im Fernsehen von ihrer Papenburger Geburtsstätte zentimeterweise die Ems abwärts bugsiert wurde: 295 Meter lang, 33 breit, 15 Decks hoch, acht Pools, elf Restaurants, Fitnesscenter. Und die einzige Bowlingbahn auf See. „Das wär doch was“, fand Martina Lampe, statt Mallorca oder Föhr.

Einige Stopps in Italien, viele Landausflüge und möglichst keine strenge Hausordnung – so in etwa sah der Kreuzfahrt-Wunschzettel des Maschinenbautechnikers und der Verkäuferin aus. In Erfüllung gehen soll er nun auf der Norwegian Gem – das NCL-Konzept des Freestyle Cruising liest sich für die Lampes überzeugend.

Ein Freiheitsversprechen mit folgender Übersetzung: Essen wann und wo man will, keine Dresscodes, keine Power-Bespaßung am Pool. „Ja, passt“, sagt Uwe Lampe nach den ersten drei Tagen an Bord. Der 44-Jährige und seine Frau sind schon gut gebräunt und auch mit ihrer 13-Quadratmeter-Innenkabine zufrieden. Nein, Passagierschließfächer sind das hier nicht, dank einiger Spiegel mit Weitwinkeleffekt, und weil von Minibar bis Minibad alles geschickt eingebaut ist.

Nur zu Boden schaut Martina Lampe ungern. Das Teppichmuster in Türkis, Blau und Hellblau mit Muscheln – in Weinrot, Orange, Gelb – ist ihr zu schrill, ebenso wie die quietschbunten Blumen auf Deck 13, die allgegenwärtigen Gestecke mit Plastikfrüchten und das Laminat im Mahagoni-Look. Designkompositionen für den Geschmack der absoluten Passagiermehrheit aus Amerika. Klar, dass die Reederei NCL nicht gleich renoviert, nur weil Deutsche den Törn durchs westliche Mittelmeer bei Tchibo buchen können – ab 649 Euro. Und klar, dass dieser Preis lange der letzte in Euro ist, den Passagiere wie Uwe und Martina Lampe sehen. Denn an Bord gibt's nur Dollar-Angaben.

„Preisfragen“

Umrechnen also für die Euroverwöhnten. Wenn es was zu rechnen gibt. Denn Getränke mit Aufpreis – also alles außer Kaffee, Tee und Leitungswasser mit Eis – stehen ohne Preis in vielen Speisekarten, sind also Überraschungsdrinks der besonderen Art. „Preisfragen“ kosten natürlich nichts. Nur Mühe. Nicht etwa, weil die Deutschen die Bordsprache Englisch zu schlecht sprechen, sondern weil Amir, Mayumi, Mladen und ihre anderen Kollegen vom Bordpersonal wahlweise in der abgehackten indischen Variante, der gelispelten philippinischen oder der verwaschenen kroatischen Version in dieser Weltsprache antworten.

Die Folge: Rätselraten, was sie meinen – auch bei kreuzfahrterfahrenen Deutschen, die sich mehr deutschsprachiges Personal an Bord wünschen. Sicher, da ist Stefanie Junker, die deutsche NCL-Gästebetreuerin. Sie übersetzt jeden Tag fleißig die Bordzeitung und hilft beim Buchen von Ausflügen, ist aber eben keine abrufbereite Simultandolmetscherin für die etwa 80 Deutschsprachigen an Bord. Überhaupt, die Landausflüge: Uwe und Martina Lampe haben sich von Barcelona bezaubern lassen und wollen nun auch nach Florenz. „Aber nicht mit NCL“, sagt Uwe Lampe entschieden. Denn erstens hat er schon erlebt, dass die angekündigten deutschsprachigen Führungen ruckzuck in englische verwandelt werden, wenn sich weniger als 20 Deutsche anmelden. Und zweitens seien diese Trips zu teuer, finden auch andere Deutsche an Bord. 239 Euro für zehn Stunden Florenz und Pisa – fast der halbe Kreuzfahrtpreis noch mal drauf. Dabei kostet die Zugfahrt von Livorno nach Florenz gerade mal 6,50 Euro, hat Uwe Lampe recherchiert. Mit Frau und Reiseführer will er daher auf eigene Faust in zehn Stunden durch die Toskana. Komplizierter ist so ein selbst organisierter Ausflug natürlich als der am TV-Bildschirm in der Schiffskabine gebuchte. Per Fernbedienung kann hier sogar die deutsche Sprache angeklickt werden. Leider jedoch endet diese Option jeweils schon auf Seite zwei der Ausflugsangebote im Videotext: Deren fünfzeilige Beschreibungen gibt's nur auf Englisch.

Vor allem lockt der Preis

NCL lockt sie vor allem mit dem Preis. Nachdem Konkurrenten wie MSC oder AIDA bereits Kreuzfahrten für 800 und 700 Euro anboten, setzte NCL im vergangenen Jahr eine Sechs davor. Obwohl schon damals mindestens eine Sieben hingehört hätte. Denn jeder Gast muss an Bord eine Servicepauschale von zwölf Dollar täglich zahlen, selbst wenn er – komplett servicefrei – sieben Tage lang in seiner Kabine schlummern würde. Macht also insgesamt schon mal umgerechnet 90 Euro zusätzlich und damit keinen Reisepreis von 649 Euro, wie im Katalog angegeben, sondern je nach Umrechnungskurs von mehr als 700 Euro.

Nein, klar sei ihnen dieser Aufschlag nicht gewesen, sagt Martina Lampe. Als Textilverkäuferin meint sie, wie auf einem Blusenetikett sollte auch im Reisekatalog der Endpreis stehen, will sich aber jetzt mit Rätselraten über weitere Nebenkosten wie etwa den 15-prozentigen Servicezuschlag auf Bordgetränke und zehn bis 25 Dollar Aufpreis in den sogenannten Spezialitätenrestaurants die Kreuzfahrt nicht vermiesen lassen.

Denn schön ist er ja, dieser Törn, auf dem topgepflegten, modernen Schiff, mit ruhigen Passagieren, von denen keiner im Verdacht steht, er habe bei Mallorca versehentlich die Abzweigung zum Ballermann verpasst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2010)

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