Die wichtigste Kurve ist die nach vorn

wichtigste Kurve nach vorn
wichtigste Kurve nach vorn(c) APA (T�RNSTR�M Calle)
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Kitzsteinhorn, Klosters, Kamtschatka. Andrehen, beugen, strecken: Mehr verlangt Freeride-Pionier Ernst Garhammer von seinen Schülern nicht. Doch: Spaß haben.

Die linke Hand weiß nicht mehr, was die rechte tut, seit Ernst Garhammer den beiden Stockeinsatzverbot erteilt hat. „Die Skistecken sind höchstens für das Gleichgewicht da. Vielleicht zum Tasten. Aber sicher nicht zum Aufstützen.“ Den meisten in der Tiefschneetruppe fällt es nicht leicht, den eingelernten Fahrstil plötzlich über Bord zu werfen: Stock reinhauen, drehen. Die Beine eng und parallel, der Oberkörper ruhig, weil knieabwärts die ganze Arbeit passiert. So haben wir's doch jahrelang gemacht.

Was jetzt? Was können zwei arbeitslose Arme tun, während sich zwei Beine durch ungebügeltes Gelände kämpfen? Sie könnten sich vom Körper wegstrecken, die Stecken in die Höhe halten. Herumrudern und versuchen, so dem Ski beim Drehen zu helfen. Fremd, aber keine Sekunde falsch fühlt sich die Deprogrammierung an. Anstrengend vielleicht, weil man jeden Schwung bewusst mitdenkt. Manchen hilft ein kleines Mantra bei der neuen Bewegung: Linke Tür aufmachen. Rechte Tür aufmachen. Linke Tür aufmachen,...

Rotieren ist erlaubt

Acht Skifahrer pflügen durch das stark verspurte Gelände neben der Piste, ohne dass ein Einziger zu Sturz kommt. Was anfangs unbeholfen aussieht, kommt schnell in Gang. Ernst Garhammer nimmt sich ja auch alle paar Meter Zeit, stehen zu bleiben, um genau zuzuschauen, zu korrigieren und mit lockerem Schmäh zu motivieren. Nicht viel anders hätten es die größten Rennläufer gemacht, instinktiv: „Schaut's einmal Aufnahmen von Franz Klammer an. Oder von Bode Miller. Haben einen super Zug am Ski – und rudern mit den Armen rum“, rät der Freeride-Pionier und frühere Trickski-Mehrfachweltmeister auf Niederbayrisch. Wenn wir später unseren eigenen Film anschauen, können wir erkennen, ob die Ski auch wirklich das machen, was wir von ihnen wollen. Das wäre das Ziel der Unternehmung.

Wir treffen Garhammer am Kitzsteinhorn, wo er und seine Guides jeden Winter mehrtägige Tiefschneekurse abhalten. Es könnte auch Sterzing, die Zugspitze, Stuben am Arlberg oder Klosters sein, wo das Programm ebenfalls angeboten wird. Dass es jedes Mal ziemlich viele Teilnehmer sind, die sich auf diese Weise mehr Sicherheit oder eine einfachere Technik fürs Geländefahren aneignen, ist nicht zu übersehen. Garhammer-Schüler erkennt man nämlich schon vom Lift aus: Sie scheinen durch den Tiefschnee mehr zu schweben als zu fräsen. Die Bewegung wirkt rund, ökonomisch: Hände hoch, Beine in den Pflug. Offensichtlich haben sie's dabei auch ziemlich lustig.

Ihr Bewegungsablauf unterscheidet sich von allem, was die Skistilpolizei erlaubt: andrehen, beugen, strecken. Garhammer nennt das „ABS“, nicht Technik, weil dem Freigeist jede Art von Kanon ein Gräuel und Anlass zur Polemik ist, sondern „ein Reminder der elementarsten Bewegungsbilder beim Skifahren“. Daraus entsteht auch für den Lernresistenten schon bald ein einfacher Rhythmus, der ihn selbst in steilem, schwierigem Gelände gut hinunterträgt. Damit muss er sich auch nicht fürchten, wenn er später vielleicht den Heli besteigt und im Kaukasus, in Kanada oder in Kamtschatka den Powder hinuntertanzt.

Spitzkehre statt Salto

Oft ist bei den Erklärungen das Wort „Physik“ im Spiel. Die sei – besonderes Reizthema Skilehrbücher – eben nicht alle paar Jahre neu zu erfinden. „Skifahren ist rhythmische Bewegung ist Tanz“, Skiballett gehört zu den Disziplinen, in denen Garhammer einst absolute Weltspitze war. Als Zwischeneinlage probieren wir kleine Choreografien mit eingebauten Spitzkehren – Koordinationsbanausen sorgen da für Lachnummern. Nicht auszudenken die akrobatischen Einlagen, die er sonst noch auf Lager hätte: Mehrfachsalti, Mehrfachschrauben, Buckelpistenüberflüge, Big-Mountain-Lines, waghalsige Aufstiege.

Die machten in den Siebzigerjahren die Brüder Ernst und Fuzzy sowie deren Schwester Hedi weltweit berühmt. Und die originellen Skifilme, mit denen sie ein Genre mitbegründet haben, in dem heute Sohn Seb Garhammer erfolgreich unterwegs ist: atemberaubende Freeride-Produktionen.

Wie den allermeisten Skifahrern fehlt es uns an echter Balance. Was macht ein Kind, wenn es gehen lernt? „Richtig: Es streckt die Arme in einem Dreieck vor sich aus. Und es schaut nicht auf den Boden. Selbst, wenn es fällt.“ Bis das ABS-Bewegungsmuster verinnerlicht ist, dauert es noch einen weiteren Kurstag. Unsere Rudereien werden zusehends dezenter: „Nur weil du die Bewegung nicht siehst, heißt das nicht, dass sie nicht passiert. Beispiel Dressurreiten: Was macht das Pferd, würde der Reiter nicht dauernd Impulse über seinen Hintern an das Pferd weitergeben? Es ginge höchstens zum nächsten Futtertrog.“

Der erste Tag des Workshops startet noch auf der Piste, doch sehr bald geht es immer weiter ins Unverspurte hinaus. Dafür ist ein Gebiet wie das Kitzsteinhorn nachgerade ideal. Kurze Schrägfahrten führen zu Rinnen voller Powder. Das Gelände um den Gletscher ist sehr kupiert, sehr abwechslungsreich. Zudem wurden hier extra Skirouten für Freerider angelegt. Das Kitz war immer schon ein Revier für die wilden Freestyler, die damals noch Hot Dogger hießen.

Wir steigen ein paar Meter hinauf und betrachten den Hang. Kaum eine Line drin, die Schneedecke glitzert. Einfach draus los, wir sind ja notfallausgerüstet? „Die einzig richtige Taktik im Gelände ist, eine Spur anzulegen“, mahnt uns der Chef, das Wort Taktik kann er nicht oft genug wiederholen. Am Ende sieht das so aus: Acht Spuren parallel in den Hang gezeichnet, Wellen gleichmäßig wie chinesische Eiernudeln. Doch da geht's nicht um die Optik, sondern um Sicherheit, ums Überleben: „Wenn alle in der Gruppe durch die angelegten Spuren den gleichen Rhythmus fahren und der Rhythmus der ersten Spur keine Lawine ausgelöst hat, kann man eher davon ausgehen, dass auch die weiteren Spuren halten.“

Absolute Sicherheit gibt's natürlich nie. „Prinzipiell herrscht immer Lawinengefahr.“ Abgesehen von Schneedecke, Wetter oder Hangneigung würden Lawinenunglücke vielfach deswegen geschehen, weil die Teilnehmer einer Gruppe nicht genügend Abstand, sich nicht an die Spur und nicht an die Anweisungen hielten. „Da draußen kann es aber nur einen Kapitän geben.“ Zusätzlich ist ein Problem, wenn jemand stürzt und damit die Schneedecke stört. Da kommt Garhammers ursprünglich bergsteigerischer Zugang zur Materie zum Zug: „Wie viele Stürze hast du als Kletterer frei? Null.“ Und was sei Skifahren anderes als das: „ein kontrollierter Absturz“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2011)

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