Barbados, ein Hexenkessel

"Wukking-up" mit Feuer unter den Füßen: Beim Crop-Over-Karneval, dem Erntedankfest, wird Barbados zur Party-Insel.

Sir Clifford Husbands heißt der Generalgouverneur der Karibikinsel Barbados. Zwar vertritt der 74-Jährige auf der seit 1966 unabhängigen Insel Barbados, die noch immer zum Commonwealth gehört, offiziell die britische Königin. Die Macht muss er sich aber mit vier weiteren Königen und Monarchen teilen.

Da wäre mal Mighty Gabby, ein 62-jähriger Musiker, der seit Juli 2010 als Calypso-König der feierfreudigen Karibikinsel amtiert. Der Musiker, der stolz auf seine jahrhundertealten nigerianischen Wurzeln verweist, wurde 1969, im Alter von 19 Jahren, erstmals zum Calypso-König gewählt. Bei den letzten Pic-o-de-Crop-Finals konnte er die kritische Jury erneut überzeugen. Doch Mighty Gabby ist nicht der einzige Musiker und Calypsonian, mit dem sich Clifford Husbands die Herrschaft teilen muss. Da gibt es auch noch Andy Blood Armstrong, den amtierenden Party-Soca-Monarchen der Insel – sein energetischer Speed-Soca „Foot on fire“ brachte während des Grand-Kadooment-Umzugs am 2. August 2010 tausende Menschen in Bewegung. Und dann ist da Terencia Coward, ein Energiebündel, das jeden Saal in einen Hexenkessel verwandeln kann – für ihren Song „Down the road“ erhielt sie den Titel „Sweet Soca Monarch“ der Insel. Doch auch Gabby, Armstrong und Coward sind keinesfalls unangefochten, denn das Volk liebt noch einen anderen: Dale Rudder, der unter dem Künstlernamen Mr. Dale auftritt, wurde 2010 zum People’s Monarch der Insel gekürt.

Party Monarch, Sweet Soca Monarch, Calypso King und Peoples Monarch: Diese vier Positionen werden allesamt während des Erntedankfestes – des Crop-Over-Festivals – verliehen, das man hier im Juli und Anfang August feiert, dann, wenn die Zuckerrohrernte zu Ende geht. Zuckerrohr, als Wirtschaftsfaktor inzwischen vom Tourismus abgelöst, wird auf Barbados noch immer angebaut. Wie keine andere Pflanze prägten die zwei bei drei Meter hohen Zuckerrohrhalme die Kolonialgeschichte der Insel. Um die Plantagen zu betreiben, holten die englischen Landbesitzer Sklaven auf das 34 Kilometer lange und bis zu 23 Kilometer breite Eiland, das zu den östlichen Antillen gehört. Die Nachkommen der einstigen Sklaven stellen heute mehr als 90 Prozent der Bevölkerung.

Ohne deren Energie und Lebensfreude wäre das Crop-Over-Festival so spannend wie der Fünf-Uhr-Tee in England. So aber gleicht Bridgetown, die Hauptstadt, an den letzten Tagen des Inselkarnevals gleich mehrere Tage und Nächte lang einem Hexenkessel. Denn der Crop-Over-Karneval ist ein Mitmachfest: Nicht die Kür der Gesangsstars und der Calypso-Monarchen bildet den Höhepunkt, sondern das Grand Kadooment, ein Umzug durch die Straßen von Bridgetown. Federgeschmückte Tänzerinnen und mit Spraydose und Bodypainting erzeugte Superhelden treffen einander zu einem Mix aus Schaulaufen und Party, der morgens um acht Uhr mit dem Aufstellen der Gruppen beginnt und spät in der Nacht mit Absackerpartys endet – dazwischen wird getanzt und gewunken, gesungen und getrunken, bis der Schweiß das teuer angeschaffte Kostüm allmählich auflöst. Damit die Tänzer die wilde Party nicht unterbrechen müssen, begleiten sogar Lastwagen den Umzug, die Toilettenhäuschen aus Plastik geladen haben.

30 Karnevalklubs

Das Rückgrat des Grand Kadooment bilden die 30 Karnevalsklubs der Insel,  „Band Houses“ genannt. Jeder Klub kümmert sich wochenlang um einen Song, um Kostüme und Choreografie – vor allem aber um reichlich Rum und Getränke. „Wer bei uns mitmacht, der kauft sich kein Kostüm, sondern ein ganzes Paket für 495 Barbadian Dollars (rund 170 Euro, Anm.), das neben dem Kostüm auch den Eintritt zu unseren Partys beinhaltet sowie kostenfreie Drinks bei unseren Partys und während des Umzugs “, erläutert Chatwin Stewart, der Leiter des Bandhouses „Power by four“.

Mini-Bikinis

Bereits einige Tage vor dem Grand Kadooment klingt Chatwins Stimme angeschlagen, einige Partynächte hat er bereits hinter sich. Doch es geht ihm nicht nur ums Feiern, sondern auch um eine Botschaft. „Drei Jahre lang haben wir uns das Riff und die Unterwasserwelt, die Barbados umgeben, als Motto genommen, wir setzen das in verschiedenen Kostümen um, die so farbenfroh sind wie die Fische am Riff“, erzählt Chatwin.

Hauptbestandteile des Damenkostüms sind bunte Federn und ein mit Pailletten geschmückter Mini-Bikini, hergestellt werden die Kostüme auf Trinidad, das Material dafür kommt aus China. Etwa 1500 Teilnehmer hat „Power by Four“ während des Grand Kadooment 2010 auf die Beine gebracht.

„Mindestens 75 Prozent von ihnen sind Frauen“, erläutert Chatwin Stewart. Auch Ausländer sind beim Crop Over willkommen – jeder, der sich ein Kostümpaket kauft, ist dabei. Beim Umzug sind diese leicht zu erkennen: Während die Tänzerinnen aus Barbados elegante Stiefel tragen, hüpfen die Gäste aus Nordamerika oder Europa meist in Turnschuhen herum.

Die rund 30 Bandhouses, die den Karneval wochenlang vorbereiten, haben ihren großen Auftritt während des farbenprächtigen Grand-Kandooment-Umzugs. Die Wahl des Calypso Kings, des Party Monarchs, des Peoples Monarchs und des Sweet Soca Monarchs wird hingegen in sogenannten „Calypso Tents“ vorbereitet: Diese etwa zwölf Calypsoklubs sind auf der ganzen Insel verteilt. Ab Ende Juni werden dort wöchentlich die neuesten Songs vorgetragen. Die Veranstaltungen sind eine Mischung aus Party und Schaulaufen, denn die Jury für die Musikwettbewerbe ist bei manchen Auftritten anwesend.
Crop Over auf Barbados – das ist ein rauschendes und ausgelassenes Fest, eine Explosion karibischer Lebensfreude. Aber das wichtigste Inselereignis des Jahres führt alljährlich auch zu heißen Debatten. Etwa darüber, ob „Olé Ashe“, das Siegerlied des Calypsokönigs Mighty Gabby, überhaupt Calypso sei. Ob um die persönliche Sicherheit der Sängerin Terencia Coward, genannt TC, zu fürchten sei, wenn sie beim „Battle Royal“ antreten würde – oder ob sie nur Angst habe, vom Publikum ausgebuht zu werden.

Ein Dauerthema in der „Nation“, dem wichtigsten Inselblatt, ist außerdem die Frage, ob die ausgelassenen Tänze während des Grand Kadooment zu anzüglich sind. „Wukking up“, das Simulieren sexueller Handlungen, ist Teil der Calypso-Kultur, sagen die einen. Es habe in der Öffentlichkeit nichts verloren, argumentieren die anderen.
Trotz kritischer Stimmen ist jeder Versuch, schwarze Kultur und Musik zu verbieten, in der Geschichte des Landes stets gescheitert. Die auf Barbados sowie auf den Nachbarinseln Trinidad und Tobago verherrschende Musikrichtung, der Calypso, hat seine Wurzeln in dem Versuch, den afrikanischen Sklaven das Sprechen zu verbieten – so verständigten sie sich durch das Singen, insbesondere von Arbeits- und Spottliedern. Bereits 1646, so die Chronisten, lebten auf der Insel neben rund 20.000 britischstämmigen Menschen mehr als doppelt so viele Sklaven. Mehrmals versuchten die weißen Zuckerbarone, den Sklaven Musik und Trommeln zu verbieten – doch auf Dauer hatten sie damit keinen Erfolg.

Soca

TIPPS

Während der Calypso, so wie er heute bekannt und in der gesamten Karibik beliebt ist, Anfang des vergangenen Jahrhunderts aufkam, ist Soca deutlich jünger. Diese Musikrichtung entstand vor weniger als 40 Jahren, als indische Einwanderer ihre Kultur nach Trinidad, Tobago und Barbados brachten – und sich indische Klänge mit karibischen Rhythmen vermischten. Heute ist Soca in der Regel schneller, rhythmischer und percussionlastiger als reiner Calypso. Noch nicht genug kultureller Mix? Dann haben die Musiker auf Barbados noch Ragga Soca im Angebot – Soca, in die Reggaeklänge einfließen.

Karneval auf Barbados: Das ist ein fulminantes Fest für Augen und Ohren. Doch auch Besucher, denen das farbenfrohe Erntedankspektakel als zu laut und zu wild erscheint, können auf der Karibikinsel ihr passendes Festival finden: sei es das Gospelfest im Mai, seien es die Jazztage im Januar, das Holetown-Festival im Januar oder das Oistins-Fish-Festival am Osterwochenende. Und wem die Westküste, an der sich die Hauptstadt Bridgetown, zahlreiche Badehotels und das charmante Ausgehviertel St. Lawrence Gap befinden, zu zivilisiert und besiedelt erscheint, dem bleibt der raue und naturnahe Osten der Insel, mit Surfstränden und grünen Hügeln. Dort hat die ehemalige deutsche Reiseautorin Uschi Wetzel vor mehr als zehn Jahren ein Guesthouse eröffnet, das ein idealer Ausgangspunkt dafür ist, die naturnahe und ursprüngliche Seite von Barbados kennenzulernen. „Besonders schätze ich an Barbados, dass die Insel zwei ganz verschiedene Seiten hat. Und man ist überall in 45 Minuten“, sagt Uschi Wetzel „Wenn meine Gäste nach unten zum Strand gehen, können sie dort 20 Kilometer entlanglaufen – und treffen weder auf Sonnenschirme noch auf Strandliegen.“

Aktivitäten Katamaranfahrten bietet Catamaran Luncheon Cruise, +1246/4300900, www.tallshipscruises.com
Inselsafaris im Jeep werden von Island Safari Barbados organisiert, http://www.islandsafaribarbados.com, +1246/429-5337 Empfehlenswerte geführte Wandertouren bietet Eco Adventures, www.ecoadventuresbarbados.com, +1246/234-9010.

Übernachten Almond Casuarina Beach, Viersternebadehotel mit tropischem Garten, www.almondresorts.com.
Sea-U Guest House: mit Panoramablick im Osten der Insel, www.seaubarbados.com, +1246/433-9450.

Essen Die Schlemmermeile der Insel ist das St. Lawrence Gap an der Südwestküste. Ein exzellentes Seefoodrestaurant direkt am Wasser ist „The Tides“, hier empfiehlt sich die Inselspezialität „Flying Fish“, +1246/432-8356, www.tidesbarbados.com

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