Amanshausers Welt: 325 USA

(c) Martin Amanshauser
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Kleine Geschichten über große Locations.

Als Obama seine erste Wahl gewonnen hatte, kaufte ich in New York eine Haube mit der Aufschrift „Obama, 44th President of the United States“, fünf  Dollar. Ich trug sie in jenem Winter oft, vor allem, weil ich ja schon ahnte, dass der Messias und damit die Haube irgendwann peinlich werden würde. Das Problem löste sich später von selbst: Ich verlor das gute Stück. Als ich jüngst wieder nach New York flog, saß im Flugzeug nach JFK ein Kosovo-Albaner neben mir, der 130 Kilo wog und Teile seines Fettes unwillkürlich über die Armlehnen in meinen Sitzbereich fließen ließ. Ich muckte nicht auf. Er konnte sich ja nicht entleiben, und wenn er wütend geworden wäre, hätte er mich womöglich zerquetscht oder zerbröselt. Ich las – passenderweise – die recht dümmlichen Jugendaufzeichnungen eines anderen US-Messias, des nämlichen JFK. Ob es in den Sechzigern JFK-Hauben gegeben hat?

Zerschlagen kam ich in New York an. Im Hotelzimmer hing ein Print an der Wand, der JFK darstellte. Die Leselampe war eine Büste von George Washington. Nach einer Dusche und einer Box Tuna-Makis mit Algensalat stand mein Besuch der berühmten Metropolitan Opera an – präsidiale Adresse: Lincoln Center Plaza. Der Einlass begann fahrlässig spät, doch wie von Zauberhand geleitet flossen die Amerikaner auf ihre Sitze. Was für ein sittsames Volk!

Ich büßte für den strapaziösen Flug neben dem Fetten. „Two boys“, eine Oper von Nico Muhly (2011), wurde für mich zu einem Kampf gegen den Schlaf. Meine Lage in der wunderbaren Met verschlimmerte, dass die deutsche Übersetzung des im Original recht redundanten Librettos (ein Kritiker hatte es als „underwhelming“ bezeichnet) als rote Digitalschrift an der Vorderlehne durchflimmerte. Tolles Service, arge Folter. Hellwach wurde ich, als, nachdem vor der Pause der letzte Ton verklungen war, alle Amerikaner mit einem Schlag plötzlich in dröhnender Lautstärke zu sprechen anhoben. Am Ende der Oper wieder der Weckruf: Kurzer Applaus, schlagartig laute, angeregte Gespräche. Es wirkte so gesund!  Mir wurde klar, mit welcher vergeistigten, jahrhundertealten Grazie (vielleicht auch Miesepetrigkeit) sich Opernbesucher in Europa am Ende der Vorstellung erheben.

Auf dem Weg zum Hotel, den Kopf schwirrend vor roten Digitalbuchstaben, war mir eiskalt. Ich wünschte mir die Obama-Haube zurück. Sah mich in Souvenirshops der 8th Avenue nach ihr um. Die verkauften die aber nicht mehr.

Ort

USA. Der Autor war auf Einladung von „The Broadway Collection“ unterwegs, www.broadwaycollection.com; Metropolitan Opera, 10 Lincoln Center Plaza, New York, USA.

Tipp

www.amanshauser.at;

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