Amanshausers Welt: 326 Tschechien

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Kleine Geschichten über große Locations.

Jetzt mag es nicht die originellste Idee sein, das berühmteste Café der Stadt zu besuchen, aber wenn ich in Prag bin, kann ich nicht anders. Das Kavárna Slavia Café, nur 250 Kilometer Luftlinie nordwestlich von Wien, wirkt so verblüffend unwienerisch, dass ich hin muss, auch wenn ich Absinth nicht mag. Es ist eine Mischung aus Art déco der Dreißigerjahre und deutschem Funktionalismus, man sieht Holz, Marmor und Opaxitplatten, darüber eine grün schimmernde Riesenuhr – und die Toiletten im Unterstock bilden einen Kreis für drei Zielgruppen, Dámy, Páni und Angestellte. Oben blickt man aufs Nationaltheater und das Ufer der Moldau. Man kriegt zum Frühstück Palatschinken mit Spinat, plus alle Höhepunkte aus der Česká Kuchynĕ. Für Absinth-Verweigerer gibt es sogar Karottensaft.

Seit 1884 herrscht hier mit Unterbrechungen (aufgrund der habituellen Katastrophen dieser Stadt wie Krieg, Einmarsch oder einem unglücklichen Investorwechsel in den Neunzigern) Kaffeehausbetrieb, oft ein theateraffiner, zumal jährlich zu Ostern, wenn die tschechischen Bühnen schlossen, sich die Schauspieler im Slavia versammelten, um Engagements und Arbeitsbedingungen auszuverhandeln. Die Zeitungen sprachen von der „Invasion der nackten Gesichter“ – nur Schauspieler und Adelige verzichteten damals auf den Vollbart.

Smetana (wohnte im Haus) kam oft auf einen Sprung runter, Karel Čapek und Olga Scheinpflugová tranken Bier, Nobelpreisträger Jaroslav Seifert zog Schwarztee vor. Während der deutschen Besatzung hieß die Uferstraße dann plötzlich Heydrich-Ufer. Das Slavia büßte seinen slawischen Namen ein und nannte sich Kaffee Viktoria und Konditorei. Das Palais selbst diente der Okkupationsverwaltung, ab 1948 wurde es samt der Tschechoslowakei verstaatlicht. 1998 tauchte dann noch Hillary Clinton auf, die mit Václav Havel Absinth trank. Später bedankte sie sich brieflich für „the silver pin“, die sie mitgehen ließ (oder geschenkt bekam; das geht aus der Originalquelle nicht hervor.)

Absinth ist mit dem Slavia durch das Gemälde Viktor Olivas aus 1901 verbunden, das an der Kopfwand hängt. Dem dort dargestellten „Absinthtrinker“ erscheint eine grüne Lady ohne Unterleib, die allerdings nur jenen Gästen sichtbar wird, welche noch eine offene Rechnung haben. Kaum hat man bezahlt, zieht sich die Erscheinung von der Leinwand zurück und man sieht ein eigentlich recht normales Caféhausgemälde.

Ort

Tschechien Kavárna Slavia Cafe, Smetanovo nábřeží 1012/2, 110 00 Praha Staré-Mĕsto, Tschechische Republik.

Tipp

www.amanshauser.at;

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