Amanshausers Welt: 415 Hongkong

Fotografen. Ich für die Zeitung, der Mann mit dem Objektiv für den Staat.
Fotografen. Ich für die Zeitung, der Mann mit dem Objektiv für den Staat.(c) Beigestellt
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Kleine Geschichten über große Locations.

Eigentlich ist die Kraft der Bewegung der gelben Schirme schon seit einigen Monaten erlahmt. Ich bin zum Glück am Jahrestag der allerersten Kundgebung, dem 28. September 2015, in Hongkong. Heute sollen die gelben Schirme, mit denen die Studenten und Aktivisten sich gegen Regen und Tränengas schützen, wieder aufgespannt werden. Und so gespannt wie die Schirme sind viele Chinesen. Wird die Polizei, die ein paar feste Reihen gebildet hat, um ein Übertreten der Menge auf eine der Durchzugsstraßen zu verhindern, diesmal eingreifen? Fest steht, die Polizei filmt mit, das sieht man.

Der Kampf ist inzwischen ein juristischer, es wird gegen Individuen ermittelt. Die Anführer wie etwa der berühmte Schülervertreter Joshua Wong müssen sich längst vor Gericht verantworten, weitere Unruhestifter werden gesucht.

Die Bewegung, die die Stadt 79 Tage lang in Atem hielt und mit Ersatzuniversität, Blumenpflanzungen und Zeltlagern eine Zivilgesellschaft ausdrückte, die ganz unchinesisch war, hat sich in den Augen von vielen längst totgelaufen. Zu nachdrücklich war die Geschäftsstörung, zu unklar ihre Wahlrecht-oder-Demokratie-Forderungen. Angetrieben von der Medienübermacht Chinas und von ihrem eigenen Volksinstinkt hält die Mehrheit der Hongkonger Bürger inzwischen nichts mehr von den Aktivisten. „Evil people“ wird sie ein Taxifahrer
später nennen.

Als ich komme, haben sich bei Admiralty so an die 5000 Unerschrockene (Nostalgiker?) eingefunden, und da sind sie ja, die aufgespannten gelben Schirme, die Verhöhnungen des Bürgermeisters C. Y. Leung (meist in Form der Zahl 689, das ist die demütigend niedrige Anzahl an Stimmen, die er bei seiner Wahl 2012 von 1200 Abgeordneten erhalten hat), die T-Shirts mit „We are Hongkongers“ oder „Occupy Central with love and peace“. Eine Reihe junger Leute steht an den Mikrofonen. Ich dränge mich in die erste Reihe. Zu meiner Verblüffung sprechen sie ohne Spickzettel, alle total eloquent, ein Schulbub redet dazwischen immer schelmisch. Die Tonqualität ist zehnmal besser, als es die SPÖ am 1. Mai schafft.

Danach fotografiere ich vom Hochsteg, der zur U-Bahn führt, die Schirme. Der Typ neben mir macht das auch – nur dass er mit starrem Gesicht jeden einzelnen Demobesucher heranzoomt und abdrückt. Ich sehe ihn böse an. Da sieht er mich auch böse an, knipst mir einmal ins Gesicht und geht entspannten Schrittes davon.

Ort

Demo. Die Bewegung der Gelben Schirme bei der MTR-Station Admiralty, Hongkong.

Der Autor las im Goethe-Institut aus seinem neuen Buch „Der Fisch in der Streichholzschachtel.

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