Amanshausers Welt: 422 Spanien

Bahntrassenradfahrt. Die Angst vor dem schwarzen Loch.
Bahntrassenradfahrt. Die Angst vor dem schwarzen Loch.(c) Beigestellt
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Kleine Geschichten über große Locations.

Man könnte meinen, ich würde mich allmählich zu einem Topprofi des Genres Reisereporter entwickeln, doch ich werde immer fehleranfälliger. Auf Reisen stopfe ich für die Seychellen einen Anorak in den Koffer, friere in Stockholm in dünnen Pullovern, habe die falsche Währung in der Geldbörse (die richtige liegt daheim im Kuvert), habe Kappe und Sonnencreme vergessen, besitze keinen Adapter (das Hotel ebenso wenig), kein Aufladegerät, habe meine deutsche SIM-Karte nicht dabei (der Telering-Schrott hat mit einigen Ländern keine Verträge), bin ohne Zahnbürste und Zahnpasta – wenn nicht alles davon zutrifft, dann bestimmt eine Sache. Dazu kommt, dass ich bei Gruppenreisen das Programm niemals vorher durchlese, und wenn jemand etwas dazu erklärt, höre ich nicht zu, weil ich gerade „etwas Wichtigeres“ denke oder, im Bus, im Einschlafen begriffen bin.

In einer respektablen Gruppe von zwölf E-Bikerinnen und E-Bikern verließ ich Horta de San Juan, besser gesagt Picassostadt. Nach einem Kilometer hatte jemand Reifenschaden. Ein Lieferwagen brachte ein neues Bike. Wir kontrollierten unsere Vorderlichter, es hieß, dass sie unabdingbar seien, denn auf der ehemaligen Bahntrasse würden wir Tunnel durchqueren. Meines schien gut zu leuchten, doch wie wollte man das in der gleißenden Sonne kontrollieren, dachte ich, es war ja total hell.

Im ersten Tunnel merkte ich, dass mein Vorderlicht keineswegs funktionierte. Er war kurz genug, um keine vollständige Dunkelheit zu produzieren. Die Kollegen erhöhten die Geschwindigkeit. Der zweite Tunnel war härter und düsterer, im dritten sah ich fast nichts. Ich raste hinter der Vorderfrau her, bergab, im Blindflug, das Einzige, was ich sah, war ihr Licht. Ich fühlte mich wie auf einem Hochrad, duckte mich, um nicht ins Schlingern zu kommen.

Der vierte Tunnel war der schlimmste. Ich verlor den Kontakt zur Vorderfrau, eierte weiter, allein, über dunkle Abhänge mit steinigem Boden, immer gewärtig, an der Mauer zu zerschellen, doch nur nicht bremsen, um nicht völlig im Schwarz zu stecken. Mein Hintermann schrie, ich solle beschleunigen – sein Licht, zu schwach, half mir nichts. Plötzlich erinnerte ich mich, dass jemand gesagt hatte, der längste Tunnel sei 739 Meter lang . . . ich raste, bremste behutsam, raste, fühlte mich, als wäre mein Kopf drei Meter über dem Boden, wie auf Stelzen bretterte ich durch das finstere Nichts. Es sollte die Fahrt meines Lebens werden.

Ort

Radtour. Der Autor war eingeladen von Katalonien Tourismus, www.catalunya.com. Die Via
Verda, Wander- und Radstrecke auf Bahntrasse, zwischen Horta de San Juan und Tortosa, Spanien.

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