Amanshausers Welt: 445 Schweiz

Badehaubenfrau bei der Befüllung der Teesackerl- maschine.
Badehaubenfrau bei der Befüllung der Teesackerl- maschine.(c) Beigestellt
  • Drucken

Kleine Geschichten über große Locations.

Im Hotel sind sie fassungslos. Von Poschiavo nach Le Prese zu Fuß den Fluss entlang, das ist nicht vorgesehen. „Der Weg ist immer geradeaus“, sagt der Rezeptionist, „aber Sie wissen doch, der Zug fährt jede Stunde . . .“

Hinter Poschiavo schlendere ich an der Hauptstraße. Bis ich knapp vor der Ortschaft mit dem schönen Namen Li Curt eine Brücke quere und mich auf dem jenseitigen Flussdamm wiederfinde. Es ist kalt, ich habe Hunger und esse frischen Löwenzahn. Die Schreie der Vögel übertönen das Rasseln und Murren des Flusses. Ein fetter Laufkäfer sucht seinesgleichen.

Regenwürmer strecken und krümmen sich wie Unfallopfer, wahrscheinlich genießen sie das auch noch. Ich schnuppere an einer violetten Blume, und aus einer Laune heraus esse ich drei ihrer Blüten. Sie schmecken ein bisschen nach Fisch, aber gut. Ich esse weitere drei. Dann noch drei.

In Le Prese frage ich die erste Frau nach Reto Raselli und seiner Kräuterproduktion. „Oh, mein Schwager“, antwortet sie erfreut, „dort vorne ist sein Auto, der ist daheim, läuten Sie einfach!“

Eine Tochter mit Badehaube öffnet, sie bittet mich zu warten. Chef Reto empfängt mich kurz später. „Wir haben fünfzehn Hektar Anbaufläche“, fasst er zusammen, „die geernteten Kräuter und Blüten trocknen wir schonend bei 40  Grad, auf streng biologischer Basis.“ Raselli produziert für Coop und Spar, sein Hauptabnehmer heißt Ricola-Kräuterbonbons. Ich habe jetzt plötzlich Bauchweh, in mir fischelt es. Ich muss an die neun violetten Blüten denken, die ich auf dem Weg gegessen habe.

Seit Reto die Ware selbst verpackt, erzählt er, geht alles leichter. Er zeigt mir die Maschine – „kostet so viel wie eine gute Eigentumswohnung“. Und an ihr arbeitet die hübsche Badehaubenfrau! Die Haube ist einfach ein Haarschutz, und sie ist gar nicht seine Tochter – nur eine seiner zwanzig Mitarbeiterinnen. Oben füllt sie Kräuter in einen Trichter, lässt die Maschine ihr Werk tun, unten quittiert sie und schlichtet anschließend die Teesäckchen.

Beim Anblick der Blüten, die auch verpackt werden, verstärkt sich mein Bauchweh. Kornblume, Ringelblume, Sonnenblume und Malve, gelb, blau, rosa und . . . violett. „Schmecken diese Dinger ein bisschen nach Fisch?“, frage ich vorsichtig. „Nein, nach gar nichts“, sagt Reto, „die sind nur zur Dekoration.“ Ich frage, ob man alle solche Blüten essen kann. „Giftig sind diese nicht“, sagt Reto und lacht schelmisch: „Und wenn doch, dann ist das so wenig Gift . . .“

Ort

Naturbursch. Der Autor war eingeladen von der Rhätischen Bahn, www.berninaexpress.ch; Spaziergang Poschiavo–Le Prese; Raselli Erboristeria Biologica, Via Principale 702, Le Prese, Schweiz.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.