Kleine Geschichten über große Locations.
Auf meinem Pressereise-Programm steht „Interview mit Bernhard Tarnutzer, Modellbahnbauer, der sein Lebenswerk täglich vergrößert“. Er baut eine Anlage im Erdgeschoß des Bahnmuseums Albula, mit Elementen der Rhätischen Bahn, in 1:41. Zu meiner Überraschung begrüßt mich am Eingang zum Museum Herr Ritter, ein freundlicher Guide. Ritter sagt, er wird mich
führen, zuerst zum Modellbauer.
Eine riesige Anlage. Tarnutzer ist weder zu sehen noch zu hören. „Bernhard, wo bist du?“, ruft Ritter. Es stellt sich heraus, dass der Modellbauer auf dem Boden kriecht, er verlegt ein Kabel. Tarnutzer redet konsequent Schweizerdeutsch, ohne einen von uns beiden anzusehen. Er erhebt sich. Obwohl er pausenlos in Bewegung ist, lese ich sein Namensschildchen: „B. Tarnutzer – Erbauer der Modellbauanlage“. Der Tonfall des Mannes hat etwas Suggestives. Sein wichtigster Satz: „Ich muss hin und her!“ So bahnt er sich andauernd den Weg, in dem wir ihm stehen.
Keine Spur von Interview ergibt sich, B. Tarnutzer spricht in Richtung des Herrn Ritter, ohne mich anzusehen. „Das isch einfach a Passion“, verstehe ich. So nebenbei sagt er aber einen Satz, der mich trifft: „Ist, wie wenn man ein Buch schreibt. Muss für sich sprechen, sonst taugt es nichts.“ Ritter, dem freundlichen Guide, ist das alles ein bisschen unangenehm, er meint, dass wir einfach so lange hierbleiben, wie ich möchte.
B. Tarnutzer rennt ruhelos hin und her. „Ich muss beweglich bleiben“, ruft er, „bin nächstes Jahr siebzig . . . never give up.“ Hastig werfe ich ihm die Frage zu, woher seine Passion kommt. „Hat begonnen und . . . hat irgendwann ausgeartet“, ruft er zurück.
Mit der Fernbedienung versetzt er jetzt zwei Züge in Bewegung. Kinder reißen die Augen auf, eines ruft: „Ich hab das auch auf Lego.“ B. Tarnutzer schweigt einen Moment lang betroffen, bevor er leise anknüpft: „Ja, mit Lego fängt das an. Zuerst Lego . . .“
Die Anlage schließt sich nicht zu einem Kreis. Ich frage in B. Tarnutzers Richtung, wieso er keine durchgehende Strecke baut. Er schnaubt empört: „Sowas ist verpönt . . . kannst ja nicht im Kreis ummifahren“, wirft er in die Luft, „das ist kein Spielzeug – das ist echt.“ Ich verstehe diesen Fanatiker nun schon besser.
Guide Ritter fragt, ob ich genug habe, ob wir jetzt gemeinsam das Museum begehen, ich nicke. Ritter ruft: „Merci vielmals!“ Der Magier B. Tarnutzer rennt in die Gegenrichtung: „Ja, bitte schön.“ Hat uns eh schon vergessen.
Ort
Kein Spielzeug! Nicht im Kreis! Der Autor war eingeladen von der Rhätischen Bahn, www.berninaexpress.ch; Bahnmuseum Albula, Bahnhofstr. 2A, CH-7482 Bergün/Bravuogn, Graubünden, Schweiz.
Tipp
Texte: Madeleine Napetschnig; www.amanshauser.at
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