Amanshausers Welt: 453 Österreich

Spielte mit den Kindern des Autors Basketball: der Stationsaufseher.
Spielte mit den Kindern des Autors Basketball: der Stationsaufseher.(c) Beigestellt
  • Drucken

Kleine Geschichten über große Locations.

Ich wohne an der Wiener U-Bahn-Linie U6 und fahre täglich. Klar, die Menschenmischung, die entsteht, wenn an eine Strecke teure ebenso wie billige Bezirke grenzen, schafft spezifische Reize. Doch leider setzte sich jüngst
eine mediale Schraube in Bewegung, die aus dem Nichts heraus den Ruf der Linie erschütterte. Die besorgten Bürger, ein grüner Bezirksvorsteher, die Gratis-Boulevardblätter, die Exekutive, die privaten Sicherheitsdienste und diverse Facebook-Blogger spielten zusammen eine hässliche Operette, in der die U6 plötzlich die Rolle der psychogenen Geisterbahn einnahm. Dabei ist diese U-Bahn kein Saloon, und fährt auch nicht durch Mexico City, sondern durch die österreichische Hauptstadt. Unser Großstadtleben en miniature ist nicht gefährlich, sondern durchaus harmlos.

Überfälle, Messerstechereien, Vergewaltigungen – sah ich in der U6 nie. Jüngst hatte ich auf einer Fahrt nicht nur meine Dokumententasche, sondern auch Kinder (5, 7) dabei, und einen Basketball, den ich Kindskopf einem fremden Jungen (9) mit Vitiligo-Haut immer wieder zuwarf. Viele im Waggon lachten oder lächelten. Beim Aussteigen (Westbahnhof) läutete mein Telefon. Als ich sämtliche Nachkommen, das Telefon und den Basketball herausmanövriert hatte, fiel mir auf, dass die Garnitur mit meiner unbeaufsichtigten Dokumententasche anfuhr.

Ich fragte den Fahrer der nächsten Bahn um Rat. „Nicht einsteigen“, riet er, „ich überhol die andere nie.“ Er gab mir die Nummer einer Fundbüro-Hotline – doch es war Sonntag und die Hotline unbesetzt. Da las ich in einer Vitrine eine U-Bahn-Notrufnummer. „Es ist kein Notfall“, erklärte ich dem Notruf-Mann, „aber meine Tasche fährt gerade ohne mich U6.“ Er bat mich um einen Rückruf in wenigen Minuten. Und wirklich, nach dieser Frist verkündete er, der Fahrer habe meine Tasche gesichert (kein Fahrgast hatte sie erstochen oder geplündert!), und sie würde bereits in der U6-Stationsaufsicht Alterlaa auf mich warten.

Der Alterlaa-Stationsaufseher spielte mit meinen Kindern Basketball, nahm den Dank entgegen und übergab mir
die Tasche. Die Kinder fragten ihn, was er mit den vielen Bildschirmen mache, und der Stationsaufseher erläuterte ihnen seinen Job. „Ich hab das gefragt, weil ich mir gedacht hab’: Was sieht der fern?“, erklärte eines der Kinder (7) später, „der schaut lauter Bahnsteige,
so ein verrücktes Programm!“ So ist meine U6.

Ort

Metro-Verteidigung. Stationsaufsicht Alterlaa, 1230 Wien, Österreich.

Neu von Martin Amanshauser: „Typisch Welt, 111 Reisegeschichten zum weiter Reisen“, Picus Verlag

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.