Amanshausers Welt: 464 Galicien

Kleine Geschichten über große Locations.

Viele Städte haben einen Platz, der immer in Bau bleibt, weil jeder Bürgermeister eine neue Gestaltungsidee einbringt. In A Coruña ist das die Plaza Pontevedra. Zwei Fixpunkte gibt es dennoch: den schlecht geregelten Verkehr und das Manhattan Plaza, ein Pavillon mit Spiegelglas, das den Passanten (die aber ohnehin nur aufs blanke Überleben achten) den Einblick verwehrt.
Viele Besucher kratzen sich beim Eintritt am Kopf. Aha, ein 60-Plus-Lokal, das einst jung und cool war, bevor das Publikum sitzen blieb: Sämtliche Fensterplätze sind von weißhaarigen Frauen besetzt. Das Inventar schimmert in Gold- und Brauntönen – oder ist verspiegelt wie die Holzdecke. Braune Sessel, dunkelbraune Säulen, gelbgoldene Tischtücher – alles nicht übertrieben sauber. Aber halt auch nicht verschmutzt.

Die Kellner tragen schwarze Anzüge und runzeln angesichts zögernder, sich abwendender Touristen die Stirn. In ihrer Zeitmaschine sind Fremde nicht dezidert erwünscht – weil sie vollständig unüblich sind. Aber wer schon einmal drin ist, wird anständig bedient. Zum kleinen Bier erscheint ein „Gruß aus der Küche“, winzige Snacks, eine Meeresfrüchte-Krokette, ein Mais-Tortilla-Stück, und das alles schmeckt gerade richtig. Die weißhaarigen Damen genießen den Nachmittagskaffee, den viele von ihnen in Form von Coca-Cola mit Zitronenscheibe einnehmen. Auch einige Männer sitzen (noch?) herum. Sie wirken angeschlagen bis müde, während die energetische Damen-Konversation einen unfassbaren Schallpegel erreicht. Und ich Beobachter werde älter und älter, was verdammt soll ich gegen das Altern tun? Wenn ich hier sitzen bliebe, gehörte ich in gar nicht allzulanger Zeit zu ihnen.

Auch Edith Klestil ist hier. Sie sitzt allein, trinkt ein kleines Bier und entgrätet penibel eine Merluza. Gerade bedankt sie sich gerade beim Kellner, der eine Verbeugung andeutet. Vermutlich hat sie eine solche Merluza schon vor zwanzig oder dreißig Jahren hier gegessen. Zubereitet mit Zitronensauce. Etwas überteuert. Distinktionsmerkmal.
Nein, Edith Klestil kann das doch nicht sein, die ist ja verstorben. Ob die Diplomatengemahlin derart fließend Spanisch gesprochen hat? Die Scheiben sind glasklar, der Verkehr gedämpft. Gegenüber im Parfümerieladen „Areal“ stehen Kondomschachteln in der Auslage, Hunderte, so als würde sich A Coruña plötzlich schrecklich vermehren, als müsse man das stoppen. Doch wir im Manhattan Plaza haben damit nichts zu tun.

Ort

Relaxen. Der Autor war Gast von Only-Apartments und Vueling. Cafetería Manhattan Plaza, Plaza Pontevedra 24, A Coruña, Spanien. Neues Buch: Martin Amanshauser, „Typisch Welt“, Picus Verlag.

www.amanshauser.at

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