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Flughafen und Flugzeug: Der Nachbar hört mit.
Flughafen und Flugzeug: Der Nachbar hört mit. (c) Beigestellt
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Kleine Geschichten über große Locations.

Ich sitze am Gate in Berlin Tegel. Das Boarding nach Düsseldorf müsste in zehn Minuten beginnen. Mir gegenüber telefoniert dieser hochgewachsene, blonde Mann im teuren Anzug, der vorhin einen unbehaglichen Blick auf meinen Kapuzenpullover geworfen hat. Ungefähr in meinem Alter. Ich fange ein paar Worte auf. „Wir müssen die personellen Konsequenzen . . . freisetzen“, sagt er, „ja, freisetzen“. Ich blicke in sein Gesicht, er hebt den Kopf, als bemerkte er den Blick, und er sagt: „Das kostet Geld! Die müssen wir entsorgen.“ Kurz hört er mit erloschenen Augen seinem Gesprächspartner zu, während sein Bein unruhig wippt, als wollte es eine Zigarettenkippe ausdrücken. „Und Angie läuft ja auch mehr als bescheiden!“, sagt er etwas jammernd. Sieht aus, als ob Angie das absichtlich machte, denke ich.

Er richtet sich auf. „Geben Sie mir einfach einen Schnellschuss“, sagt er, „bitte einen Schnellschuss!“ Der andere scheint ihm partout keinen Schnellschuss geben zu wollen. „Wir sind weit davon entfernt, wo wir sein sollten!“, setzt er verärgert nach, und da muss ich ihm plötzlich recht geben, denn der Flug hat bereits zwanzig Minuten Verspätung. Ich überlege, ob ich Platz wechseln soll, aber ich bin für eine Flucht zu schwach, es ist alles ringsum besetzt.

„Als Ertrag nur das, was wir an abschie . . . an abschie . . . an abschie“, er hängt wie die Nadel auf einer Vinylplatte, fasst sich dann: „Wir schieben das Zeug in Fundgruben ab, ich schwöre, wir werden das drehen! Wir gehen das durch, gnadenlos gehen wir das durch, ich werde die Dinge klarstellen.“ Wenn diese Düsseldorf-Maschine nur boardete und mich erlöste! „Ich sehe die Umsätze nicht. Gut, die Umsätze eventuell, aber ich sehe die Erträge nicht! . . . Mit der Hälfte der Margen, wie besprochen. Umsatz ist eine Million. Denken Sie an Angie.“ Ich denke an „Angie“ von den Rolling Stones. „Deshalb sag ich, wir gehen da nochmal drüber, machma noch mal, wir gehen rein.“ Erneut hat er recht, das Gate wird geöffnet, wir gehen rein.

Ich vergesse den Mann für eine Weile, doch wir treffen wir uns im Finger wieder. Er fliegt nicht Business, ich sitze direkt hinter ihm. Als ich beginne, ganz leise „Angie“ zu singen, dreht er sich um und stiert mit glasklaren Augen an mir vorbei. „Where will this lead us from here?“, singe ich. Da fixiert er mich und sagt klar und vernehmlich: „Düsseldorf!“

Ort

Privater Lauschangriff. Flughafen TXL, Tegel, D-13405 Berlin.

Tipp

www.amanshauser.at

Neues Kolumnenbuch: ­Martin Amanshauser, „Typisch Welt“, Picus Verlag 2016.

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