Unterwegs

Die Sprache des Gastlandes öffnet Türen und Herzen? Vor Nebenwirkungen sei eindringlich gewarnt.

Was einem auf Reisen so alles über den Weg läuftDie Reiseführer sind schuld. Sie setzen uns den Floh ins Ohr: Wenn wir nur ein paar Worte in der landesüblichen Sprache radebrechen, fliegen uns alle Herzen der gerührten Einheimischen zu – was unser Urlaubsglück im Nu potenziert.

Nun ja. In Polen macht schon der zaghafte Versuch einer linguistischen Anbiederung jeden Erholungseffekt einer Reise zunichte. Ich hatte mir für eine Woche tollkühn zehn Vokabel vorgenommen. Um das zu schaffen, muss man das Pensum zwei Dutzend Mal täglich unter abenteuerlichen Verrenkungen von Zunge und Rachen repetieren. Die Faustregel: Immer ganz anders aussprechen, als man es liest. „Hallo“ heißt „cześć“ und klingt wie ein Niesanfall. Eine lange S-Bahn-Fahrt grübelte ich über „Wrzeszcz“, einen Vorort von Danzig. Dieses Gdańsk [Gdanjsk] kommt unsereins auch nicht viel leichter über die verknoteten Lippen. Dort ist ja auch Revolutionsheld Lech Wałęsa [Wawooonsa] zu Hause. Dieses [ooon] muss man sich so nasal gepresst vorstellen, als stöhnten die armen Werftarbeiter der Solidarność heute noch unter dem Joch des Kommunismus.

Ich hielt mich lieber an das, was Polen gern essen und wofür sie unter dem Drang des Hungers erstaunlich einfache Wörter gefunden haben: Ryby (Fisch) und Lody (Eis). Bei Letzterem wollte ich mich im Akustik-Wörterbuch vergewissern und lauschte dort dem polnischen Pendant zur Phrase „das Eis brechen“: „pierwsze lody zostały przełamane“. Wer das unfallfrei rüberbringt, für den ist das Eis im Kreise der Polen wohl wirklich gebrochen. „Theo, wir fahren nach [Wutsch]!“

karl.gaulhofer@diepresse.com


Nächste Woche:
Michael Laczynski

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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