Urlaub am Mittelmeer

Strand von Lignano
Strand von LignanoDie Presse
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Er gehört zu den großen Rätseln menschlichen Verhaltens: der Urlaub im Sommer am Mittelmeer.

Wir schreiben das Jahr 2500. Kulturhistoriker erforschen die letzte Jahrtausendwende, die ja dann schon einige Zeit zurückliegt. Und sie erkennen: Was die Menschen damals in ihrer Arbeit taten, war effektiv und effizient. Nur im Sommer verfielen sie jedes Mal in einen seltsam irrationalen Zustand. Sie verließen die heiße Stadt und eilten scharenweise in den noch viel heißeren Süden. Dort machten sie wochenlang nichts anderes, als an überfüllten Stränden unter der brennenden Sonne fast nackt und halb betäubt vor sich hin zu brutzeln. Der Körperschmuck – schmieriges Öl und klebriger Sand – erinnert an ihr damaliges Hauptnahrungsmittel Schnitzel, das Muster der eng liegenden Leiber an Ölsardinen, einzelne Subjekte aber eher an gestrandete Wale. Die Forscher rätseln. Einer vermutet einen kollektiven Bußgang, ein Opfer an einen Sonnengott. Aber Religionssoziologen winken ab: Die Anbetung von Naturgewalten war in dieser Epoche längst passé. Bis ein Modeforscher entdeckt: Von der Sonne verbrannte Haut galt damals als Schönheitsideal. Offenbar nahm man deshalb all die Strapazen auf sich.

Aber genauere Quellenforschung ergibt: Das stimmt nur für kurze Zeit. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts brachte Bräune kein soziales Prestige mehr. Dennoch behielten die Urlauber ihr sinnloses Verhalten bei. Etwa nur aus dumpfer Gewohnheit? Die Wissenschaft rätselt weiter, wie auch der zeitgenössische Autor dieser Zeilen. Sachdienliche Hinweise bitte an mich. Ich mach dann daraus, für künftige Generationen, eine erklärende Aktennotiz zu unserem allsommerlichen Wahnsinn.

karl.gaulhofer@diepresse.com


Nächste Woche:
Michael Laczynski

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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