Vacation

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Die Urlaubsscheu der Amerikaner ist betrüblich. “Vacation„ ist für viele ein schmutziges Wort – und das eigene Land fremd.

Warum haben die Amerikaner so eine Angst vor den Ferien?“, fragte der „Boston Globe“ im April und kam zu einem betrüblichen Befund: Die Amerikaner fürchten, dass ihnen in der Abwesenheit die unerledigte Arbeit über den Kopf wächst. Das sei der Hauptgrund dafür, dass amerikanische Arbeitnehmer pro Jahr im Durchschnitt vier bis fünf Urlaubstage nicht konsumieren. Verschärft werde diese Urlaubsscheu durch eine bisweilen krankhafte Arbeitsethik. „Viele Angestellte sagen, dass es in ihrer Unternehmenskultur negativ gesehen wird, sich eine Zeit lang freizunehmen“, sagt David Ballard vom amerikanischen Psychologenverband. „Wir drängen unsere eigene Ausgeglichenheit und unser Wohlbefinden beiseite und geben dem Gefühl nach, produktiv sein zu wollen.“

Als Europäer ist es stets ein wenig peinlich, wenn im Gespräch mit amerikanischen Freunden die Rede auf die Zahl der jährlichen Urlaubstage kommt. Dabei sprechen die meisten Amerikaner dieses Thema nicht direkt an, sondern es ergibt sich, wenn man vom verlängerten Wochenende in schönen Städten wie Charleston oder Savannah oder der Reise entlang des Highway 1 an Kaliforniens Küste schwärmt. Viele Amerikaner, auch solche der Mittelschicht, die es sich leisten könnten, waren beispielsweise noch nie in New Orleans, der neben New York und San Francisco einzigen wirklichen Kulturstadt der USA. Das ist, als hätte ein Europäer noch nie Venedig gesehen. Und so sind sie Fremde im eigenen Land, mit einem Bein stets an den Schreibtisch gekettet.

oliver.grimm@diepresse.com


Nächste Woche:
Timo Völker

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2016)

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