Do geyt eyn Mentsh

Do geyt eyn Mentsh. Über das Leben des Otto Deutsch, der unfreiwillig „Unterwegs“ war.

Weil diese Kolumne „Unterwegs“ heißt, sei sie heute einem gewidmet, der sein Leben lang unterwegs war, und das keineswegs freiwillig. Denn wäre es nach Otto Deutsch gegangen, hätte er die Buchengasse in Wien Favoriten wohl nie für lange verlassen. Hier wuchs er im Haus Nummer 84 auf, fühlte sich ganz und gar zu Hause, und die letzte Rede von Bundeskanzler Schuschnigg vor dem Anschluss („Gott schütze Österreich“) hörten die Hausbewohner, inklusive der Nazis, in der Wohnung der jüdischen Familie Deutsch: „Mein Vater hatte einen Empfänger mit Lautsprecher gebastelt, und alle kamen zu uns“, erzählte Otto.

Sofort begann die Verfolgung der Juden. Am Parkeingang stand nun „Zutritt nur für Arier“, nach der Reichspogromnacht verschwand der Vater, denunziert von einem ehemaligen Frontkameraden („Wir nannten ihn Onkel Kurt“), und im Juni 1939 sicherte die Mutter dem zehnjährigen Otto einen Platz auf einem Kindertransport nach Großbritannien. Sie sahen einander nie wieder.

Otto fand ein neues Zuhause, aber er blieb ruhelos. Nach dem Krieg verdiente er Geld in vielen Berufen, darunter als Fremdenführer. Sein Leben lang sehnte er sich nach der Heimat zurück: „Ein Stück von mir ist für immer in Wien geblieben.“ Noch mehr sehnte er sich nach seiner Familie. Die letzte Spur seiner Mutter und Schwester verliert sich im Lager Maly Trostinec südlich von Minsk. „Die Zeit heilt keine Wunden“, klagte er.

Zu Jahresanfang trat Otto Deutsch seine letzte Reise an. Im Alter von 89 Jahren starb er in Southend-on-Sea. Shalom, alter Freund.

aussenpolitik@diepresse.com


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Oliver Grimm

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2017)

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