Falsch reisen

Keinen Plan?

Junge Reisende
Junge Reisende(c) imago/Westend61 (Maartje van Caspel)
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Jugendliche haben oft keinen Plan. Auch, wenn es ums Reisen geht? Die Älteren sollten sich da bloß nicht täuschen.

Trifft man in Wien auf junge Reisende, läuft der Dialog meist so: „Wie lange bleibst du?“ „Nur heute. Dann geht es weiter nach Bratislava“. Nach Bratislava? Bei aller Sympathie für die Nachbarn: Mehr als einen netten Hauptplatz samt Seitengassen gibt ihre Kapitale nicht her. Das Schloss am Hügel gleicht einer Kaserne, der Blick auf die Plattenbauten ist eher herb. Da ist ein Tourist mit zwei Tagen Wien (auch das noch wenig) definitiv besser bedient. Das wussten die Jungspunde nicht, aber es ist ihnen auch egal. Sie wollen einfach – mit Prag und Budapest – in wenigen Tagen vier Hauptstädte abhaken. Das macht sich gut auf Facebook und Instagram, der zeitgemäßen Variante der Wandernadel. Außerdem (so viel haben sie recherchiert) kann man im Osten superbillig saufen.

Warum wurde Amsterdam zur Nummer eins im juvenilen Städtetourismus? Nicht wegen Grachtenromantik, Van Gogh oder Rembrandt. Sondern weil Hollands Perle zahllose Haschkneipen, Prostituierte in der Auslage und Schnapsrunden zum Diskontpreis bietet. Nach Ibiza zieht es bleiche Nordlichter nicht, weil sie Licht und Wärme des Südens suchen. Sie tanzen in der Nacht und schlafen am Tage, als hätten sie eine Sonnenallergie. Und nach einer Woche Urlaub sind sie urlaubsreif. Oh nein, wir rümpfen darob nicht die Nase! Es frisst uns ja der Neid. Die Jungen sind unbesonnen bis zur Besinnungslosigkeit, sie können sich das leisten. Nur eines zählt: dass sie unter ihresgleichen sind. Dann haben sie ihren Spaß, auch in Bratislava. Und wir? Wir weilen voller Wehmut in Wien.

karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2017)

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