Eine Woche ohne Handy

Kein Problem. Am meisten leiden ohnehin die anderen – die nicht mehr kurzfristig absagen können.

Gut, dass es die Würfeluhren noch gibt. Die markanten Zeitmesser haben in den vergangenen sieben Tagen plötzlich wieder an Bedeutung gewonnen. Denn der regelmäßig-reflexartige Griff in die Hosentasche führte ins Leere – eine Woche ohne Handy und damit auch ohne Uhr am Display. Was soll daran so schlimm sein, früher ging es ja auch ohne. Das schon, aber erklären Sie einmal einem starken Raucher, dass er eigentlich gar keine Zigaretten braucht. Der Effekt ist ähnlich. Entzugserscheinungen inklusive.

Keine kurze SMS zwischendurch, um die Langeweile in der U-Bahn zu unterdrücken. Und auch kein gehetzter Anruf, dass es ein bisschen später werden könnte. Es waren 25 Minuten Ungewissheit vor dem Vietnamesen in der Zollergasse, ob die kommunikativ flexible – ja, sie hat ein Handy – Verabredung überhaupt auftauchen würde. Sie kam schließlich. Ihre Nachricht „Was glaubst du? Ich habe wie immer ein paar Minuten Verspätung“ versandete im kommunikativen Nirvana. Immerhin, ich weckte ihr schlechtes Gewissen, dass man früher, in der Festnetz-Ära, noch pünktlich zu Verabredungen erschien – allein schon, um den Wartenden nicht im Regen stehen zu lassen.

Eine Erkenntnis, die sich in den darauf folgenden Tagen zu einem regelrechten Vorteil entwickelte. Auf einmal tauchten die Freunde, die Internetbekanntschaft und der gestresste Kollege pünktlich am zuvor per E-Mail vereinbarten Treffpunkt auf. Keine Rede mehr vom spontanen Wechsel in ein Lokal, in das man ja auch schnell nachkommen könnte. Die Machtposition hatte sich verschoben – aus Rücksicht auf den Handylosen gab es plötzlich wieder verbindliche Treffpunkte.

Nur, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – den Rückfall in die Prä-Mobilfunk-Ära rechtfertigt das noch lange nicht. Denn fairerweise muss ich gestehen, dass das Suchen nach Telefonzellen bei dienstlichen Terminen eher mühsam ist – geschweige denn, dass so mancher Informant oder Kollege seine Schwierigkeiten hatte, mir die eine oder andere Information zu übermitteln. Auch die Abhängigkeit von Kleingeld steigt in Zeiten der Handylosigkeit rapide an. Aber fragen Sie einmal Passanten, ob sie Ihnen einen Euro schenken könnten – „zum Telefonieren“. Ja, sicher...

Abgesehen davon glaubt man gar nicht, wie wenig Telefonnummern sich ohne elektronische Hilfe in den eigenen Ganglien bewegen. Die Erinnerung an so manchen Kontakt entwickelte sich am öffentlichen Telefon also geradewegs zum mentalen Zahlensudoku – mit allen Schwierigkeitsstufen. Und wieder einmal gewinnt ein Relikt aus früheren Zeiten plötzlich an Bedeutung: Gut, dass es noch Notizbücher gibt.

erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2009)

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