Was ein Gebäude wirklich kostet

Kostenwahrheit wird nur durch die Berechnung des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes möglich. An einem ganzheitlichen Verfahren wird gearbeitet.

Um die Bedeutung der Lebenszykluskosten einer Immobile zu beschreiben, greifen Experten oft auf das Beispiel Auto zurück. „Wer sich einen Pkw anschafft, interessiert sich in den allermeisten Fällen auch für den Verbrauch, die Kosten für die Versicherung und die möglichen Reparaturen, nicht bloß für den Preis der Anschaffung. Man wird auch nicht auf die Idee kommen, das Auto selbst zu designen, sondern alles aus einer professionellen Hand bekommen wollen“, erklärt Karl Friedl, GF von Moocon und Sprecher des Vorstands der IG Lebenszyklus Hochbau. Die gleichen Überlegungen bei Gebäuden anzustellen sei jedoch noch kaum üblich.

„Es läuft in 99,9 Prozent der Projekte noch so, dass sich keiner Gedanken über die Lebenszykluskosten macht und man nur von den Errichtungskosten spricht“, führt Uwe Rotermund, Professor an der FH in Münster, aus. Doch gerade eine „ganzheitliche Betrachtung eines Gebäudes über die Laufzeit von 50 Jahren und eine Berechnung all seiner dabei entstehenden Kosten ermöglicht es erst, herauszufinden, was die wirtschaftlichste Variante ist“, erklärt Rotermund, der am 13.November zum zweiten Fachkongress der IG nach Wien kommt. Betriebs- und Heizkosten, Reparaturen, Pflege, Ersatz von Verschleißteilen, Facility Management „machen 80, wenn nicht 90 Prozent einer Immobilie aus.“

Blick in die Gebäudezukunft

Prognostizieren zu können, welche Summen der Betrieb über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten verschlingt, ist für Unternehmen, die Büroräumlichkeiten oder Werkshallen brauchen, ebenso relevant wie für die öffentliche Hand, die Schulen, Krankenhäuser oder Schwimmbäder zu finanzieren und sich politisch gegenüber dem Steuerzahler zu verantworten hat. In die Kalkulation werden gleich mehrere Szenarien und Varianten inkludiert, weil sich die Anforderungen immer ändern können – wenn zum Beispiel Unternehmen personell expandieren oder Flächen infolge stärkerer Technisierung nicht mehr gebraucht werden. Die Lebenszykluskosten helfen in Diskussionen auch als objektivierende Tatsache – bei der Entscheidung, ob ein Gebäude besser saniert anstatt ein neues errichtet werden soll. Ältere Gebäude können oft schon deshalb günstiger sein, bestätigt Rotermund, weil ihr Innenleben technisch nicht so komplex und daher wartungsintensiv oder störanfällig ist. Auch die Kosten für die Pflege würden oft unterschätzt, sagt Stephan Heid. Als Jurist sieht er die Rolle seiner Branche nicht nur in der Einhaltung der richtigen Vergabepraxis, sondern auch darin, alle an einer Immobilie Beteiligten – Planer, Errichter, Betreiber, Finanzierer – in einem Konsens zusammenzubringen und diesen Prozess zu dokumentieren: „Die Verträge müssen ein partnerschaftliches Vorgehen ermöglichen und flexibel sein.“

Vieles beginnt schon mit der „Bestellqualität“ des Bauherren. Wie und in welchem Umfang eine Immobilie genutzt wird, hängt vom Unternehmenskern ab. Man müsse genau wissen, was gebraucht werde, sagt Friedl und verweist auf Modelle auf dem Weg zum „Lebenszyklusunternehmer“, der alle Branchen umfasst. Die Entwicklung ist noch jung, Leitlinien werden gerade erarbeitet, und der Kongress ist ein nächster Schritt, die nachhaltige Denkweise breiter zu etablieren.

Auf einen Blick

Lebenszyklusmodelle beziehen alle Fachbereiche im Hochbau mit ein. Die Entwicklung steht erst am Anfang, Österreich, Deutschland und die Schweiz sind Vorreiter; in Münster (D) wird das Fach an der FH im Bereich Architektur gelehrt. Die IG Lebenszyklus Hochbau veranstaltet einen Kongress am 13.November im FH Campus Wien, www.ig-lebenszyklus.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2012)

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