Umnutzung: Das Gotteshaus als Feuerwehrdepot?

Die Kirchengemeinden schrumpfen, viele sakrale Gebäude werden nicht mehr gebraucht. Mit den Schließungen stellt sich die Frage nach einem neuen Verwendungszweck.

Schauplatz Berlin-Kreuzberg, St. Agnes-Kirche. 1967 wurde das katholische Kirchengebäude errichtet, doch seit 2004 werden hier keine Gottesdienste mehr abgehalten. Die Gemeinde musste das Gebäude aus finanziellen Gründen zur Vermietung freigeben. Ende 2011 kaufte die St. Agnes Immobilien- und Verwaltungsgesellschaft das Bauensemble und verpachtete es an den Berliner Galeristen Johann König. Per Erbbaupachtvertrag gehört die Kirche mit dem Gemeindezentrum nun für mindestens 99 Jahre ihm. Drei Millionen Euro investiert er in die Sanierung der Kirche – und funktioniert sie danach um. Auf dem rund 5000Quadratmeter großen Gelände soll bis Herbst 2013 ein Zentrum für Kunst und Kultur entstehen.

Klamme Kirchenkassen

Der Fall St. Agnes ist nur eines von zahllosen Beispielen in Deutschland, das unter das Kapitel Profanisierung von Kirchengebäuden fällt. Wo einst Gläubige den Gottesdienst feierten, sind heute Bibliotheken, Wohnungen, Büros, Verwaltungsapparate und zuweilen auch Diskotheken und Autowerkstätten untergebracht.

Die Gründe für die Umnutzungen liegen auf der Hand. „Die finanzielle Not hat die Kirchen zum Handeln gezwungen. Schrumpfende Kirchengemeinden fusionieren, viele Kirchen werden somit als gottesdienstliche Orte überflüssig. Und man steht vor dem Problem, diese überzähligen Gebäude zu verwerten“, erläutert Architekt Henner Herrmanns, Professor an der Hochschule Koblenz. Ein nicht ganz neues Problem: „Wir stehen in der Gefahr, aufgrund des sinkenden Kirchenbesuchs sowie aktueller und mittelfristiger finanzieller Einbrüche im Kirchensteueraufkommen unsere Kirchen zu behandeln wie eine gewöhnliche Immobilie“, prophezeite bereits vor 20 Jahren der ehemalige Kölner Erzdiözesanbaumeister Josef Rüenauver.

Während die Umnutzung von Kirchen europaweit zu einem aktuellen Thema geworden ist, stellt sie in Österreich noch eher eine Seltenheit dar. Aber es gibt Ausnahmen. Immerhin 71 profanisierte Kirchen, deren Nutzung vom Wohnhaus bis zum Feuerwehrdepot reicht, konnte die Wiener Architektin Jessica Wehdorn im Rahmen ihrer Forschungen zum Buch „Kirchenbauten profan genutzt“ ausmachen. Wehdorn zeigt dabei auf, dass bauliche Interventionen für neue Nutzungen von Sakralräumen nicht immer vom Respekt vor dem historischen Kirchenraum getragen waren. „Starke Veränderungen an den Fassaden, Abbrüche von Kirchtürmen, Unterteilungen der Innenräume und die Zerstörung von Architekturdetails deuten auf historische Adaptierungen hin, die ohne Rücksicht auf die Gebäude realisiert wurden.“ Heute seien diese historischen Eingriffe oftmals schon Teil der Baudenkmale, so Wehdorn.

Wie aber könnten Lösungen aussehen, wenn die Welle der Kirchenschließungen – wie sie seit einem Jahrzehnt in Deutschland rollt – in naher Zukunft auch über Österreich zu schwappen droht? „Durch eine kulturelle Nutzung kann zumeist wenigstens die Architektur des Kirchenraums erhalten bleiben“, sagt dazu Ulrike Knall-Brskovsky vom Bundesdenkmalamt. Möglich sei auch, Kirchen einer anderen Glaubensgemeinschaft zu überlassen, wie es bei der Kirche Neulerchenfeld in Wien geschehen ist, die Ende des Jahres an die serbisch-orthodoxe Gemeinde übergeben und so vor groben Umbauten bewahrt wird.

Taktgefühl geht vor Profit

Weitere Optionen: die Nutzung von Filial- bzw. Nebenkirchen als Feierkirchen für Hochzeiten und andere Feste oder die Verwendung von sakralen Gebäuden als Aufbahrungsraum. „Das Suchen nach neuen Nutzungen hängt davon ab, was in den von der Kirchenleitung geduldeten Grenzen machbar ist und was die kirchliche Gemeinschaft und die Ortsgemeinschaft akzeptieren. Und auch davon, was der Bau, der Raum und die Ausstattung erlauben“, so Knall-Brskovsky. Öffentliche Nutzungen seien daher die am Nächsten liegenden: Urnenbegräbnisstätten, Kulturzentren, Begegnungsstätten, Pfarrsäle mit Nebenräumen oder Bibliotheken. Jede kleinteilige Nutzung (Büros, Wohnungen) gehe hingegen mit starker Zerstörung einher und sei wohl nur bei speziellen Bauten denkbar.

Das Mitspracherecht der Kirche endet freilich dort, wo wie in Berlin-Kreuzberg das Eigentum am Gebäude vom Erzbistum aus der Hand gegeben wird. Der neue St.-Agnes-Besitzer Johann König – laut eigenen Angaben „nicht getauft und nur gläubig in Bezug auf Kunst“ – will sich bei den selbst finanzierten Sanierungsarbeiten dennoch so stark wie möglich am einstigen Kirchenarchitekten orientieren. Geplant sind nur reversible Maßnahmen, damit die Kirche theoretisch irgendwann auch wieder im ursprünglichen Sinn genutzt werden kann.

Buchtipp

„Kirchenbauten profan genutzt: Der Baubestand in Österreich“.

Autorin Jessica Wehdorn ist eine Wiener Architektin, Gesellschafterin der Wehdorn Architekten Ziviltechniker GmbH, die im Bereich der Denkmalpflege an internationalen Projekten arbeitet. Wehdorn spezialisierte sich durch Forschungsarbeiten zum Thema der profanen Nutzung von Kirchen in Europa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2013)

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