Jörg Boner: König, Bauer und Designer

(c) Milo Keller
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Der Schweizer Designer Jörg Boner zieht Möbeln Kleider aus Leder an, ergründete zuletzt österreichisches Erbgut − und wandelt auch gerne einmal zwischen Werkstatt und Schloss.

Ausstrahlung. Die LED-Pendelleuchte „Empty“ hat Jörg Boner für den Hersteller Oluce entworfen.
Ausstrahlung. Die LED-Pendelleuchte „Empty“ hat Jörg Boner für den Hersteller Oluce entworfen. (c) Beigestellt
Hautsache. Leder: Dieses Thema hat Jörg Boner der Kollektion „Oyster“ von Wittmann übergeworfen.
Hautsache. Leder: Dieses Thema hat Jörg Boner der Kollektion „Oyster“ von Wittmann übergeworfen. (c) Beigestellt

Designer sind ja fast wie Bauchredner. Sie lassen andere sprechen und führen doch das Wort. Oder besser, die Form. So, dass sie die inneren Werte der Möbelhersteller nach außen kommunizieren. Jörg Boner hat es für Wittmann nicht anders gemacht. Kennenlernen, Hände schütteln, zuhören, nachfragen, ein Stück DNA extrahieren, im Atelier grübeln, den Entwurf darauf aufbauen – so ähnlich ist auch die Kollektion „Oyster“ für den österreichischen Hersteller entstanden − Sofas, Sessel, Poufs. Aus Leder. Mit starker Materialkonnotation und betont handwerklichem Unterton. Mit dem „Schaufenster“ sprach der Schweizer Jörg Boner über die Mystifzierung des Handgemachten und Möbel, die ihm irgendwie „österreichisch“ erscheinen.

Wie verlief Ihre „Österreich-Premiere“ und das Kennenlernen mit der Firma Wittmann?
Schleppend − von meiner Seite (lacht). Frau Wittmann hat mich einige Male angerufen, immer charmant nachgefragt. Doch ich war gerade mit einem Polstermöbel für den Hersteller Cor beschäftigt,  und da ich eigentlich kein Designer bin, der von einem Hersteller zum nächsten springt, habe ich mich ein wenig geziert. Dann war ich zu Besuch in Etsdorf im Kamptal, in der Produktionsstätte. Dabei ist mir vor Ort besonders die Lederverarbeitung bei Wittmann aufgefallen. Ich hatte noch nie etwas aus Leder gemacht − irgendwie hat dieses Material für mich eine ganz andere Art von Beständigkeit im Vergleich zu Textilien. Und plötzlich war der Ansatz für unsere  Zusammenarbeit gefunden − das Lederthema. 

Designer und Designunternehmen sprechen so oft von der DNA, die in Möbeln und Entwürfen steckt. War das auch Ihre Forschungsaufgabe bei Wittmann?  
Natürlich gehört es immer dazu, die DNA des Unternehmens, für das man arbeitet, zu ergründen, in diesem Fall ein spezielles Merkmal von Wittmann freizulegen, wie das Lederthema eben. Dabei geht es aber nicht immer darum, zu wissen, sondern vor allem etwas zu spüren. Ich kannte ja generell die österreichische Design- und Möbeltradition nicht so gut, Tulga Beyerle hat mir eine Liste mit den wichtigsten Namen im vorigen Jahrhundert gemacht. Von der Uni-Bibliothek hab ich mir einen Stapel Bücher für die Recherche ins Atelier geholt. Und mir ist bei österreichischen Möbeln immer vorgekommen, sie wären sehr kompakt. Bequem auf engem Raum zu sitzen, das gehört vielleicht auch zur Kaffeehaus-Kultur und ist vielleicht auch ein Mythos, aber es kam mir irgendwie  „österreichisch“ vor. 

Macht es die Sache für Designer leichter, wenn auf der Auftraggeberseite eine Familie steht, die auch auf den Bauch hört?  
Es hilft in jedem Fall, wenn die Unternehmerfamilien, wie auch bei Wittmann, die Stücke so sehr fördern und dahinterstehen. Design auf diesem Level zu machen, das ist etwas, was man unbedingt wollen muss. Wo auch Bauchentscheidungen gefragt sind. Das muss nicht wirtschaftlich sein, kann aber, wenn man es gut macht. Aber generell glaube ich nicht allzu sehr an diesen Creative-­Industries-Hype, den kann ich nicht so nachvollziehen. Gestaltung ist ein Teil der Kultur, und das muss man wollen. Wenn man damit noch  Geld verdient, dann hat man gleich doppelt gewonnen.   

Kreative plagt doch manchmal die eigene Besessenheit, sagt man. Ist das auch etwas, was Sie verspüren?
Da steckt natürlich auch viel Künstlermythos drin. Mich interessiert es als Designer, in einem eng gesteckten Rahmen kreativ zu sein. Ich selbst muss mich nicht über die Objekte ausdrücken. Wenn sie fertig sind, gehören sie allein den Herstellern, dann müssen sie allein leben, dann brauchen sie mich nicht mehr. Die Kreativität ist hier eher so wie beim Kreuzworträtsel: Findet man eine Lösung, die in den Rahmen passt, dann ist es toll.

Österreichischem Design unterstellt man zuweilen als Merkmal die traditionelle handwerkliche Produktionskultur, die dahintersteckt. Wird so etwas in Möbeln tatsächlich spürbar?
Ob ein Stück jetzt aus China oder Österreich kommt, spürt man nicht, wenn es gut gemacht ist. Ob Handwerk oder Industrie dahintersteckt, das natürlich schon. Aber mit dem Thema Handwerk muss man ein wenig vorsichtig umgehen. Ich will ja auch nicht das Rad der Zeit zurückdrehen. Schließlich wurde die Industrie von uns erfunden. Und das Design, um mithilfe der Industrie die Dinge gut zu machen. So sehe ich auch meine Rolle als Designer. Nämlich in einem industriellen Prozess, der einer gewissen Haltung entspricht, die am Ende in den Dingen spürbar wird. Egal, ob sie jetzt handwerklichen oder industriellen Ursprung haben. 

 Welche Bedeutung hat die Oberfläche im Design gerade in einem Stück aus Leder, wie der „Oyster“-Kollektion?
Ich wollte, dass der Hersteller seine Qualitäten und Skills über das Produkt ausspielen kann. Deshalb auch Leder. Denn die Wittmann-Skills liegen auch ganz klar in diesem Material. Und ich wollte sogar ein Leder verwenden, das auch für den Hersteller neu ist. Jetzt haben wir ein schönes, gewachstes Leder verwendet. Manchmal wird ja Leder auch zum anonymen Material, wenn man es zu viel färbt, glättet und streicht. Das Leder sollte spürbar sein. Und wie Leder aussehen. Für mich ist Leder nicht rot, grün oder gelb. Sondern braun. Und noch etwas war wichtig: Ledermöbel haben oft visuell etwas sehr Schweres. Wir haben hier das Material nur auf einer Kante geführt, allein dadurch wirkt es gleich viel leichter.

Möbel und Menschen, das ist ja auch ein sehr intimes, haptisches Verhältnis.
Ein schöner Sessel aus Leder, das ist für mich so ähnlich wie schöne Baumwolle, die man am Körper trägt. Und die Idee des Kleides, wie aus etwas Zweidimensionalem etwas Dreidimensionales wird, die steckt da auch drin. Das war auch schon die Grundlage für den Stuhl Wogg 42 für den Schweizer Hersteller Wogg. Da legte sich die Polsterung wie ein flaches Kleid um das Holzgestell.

Welche Rolle spielen Möbel für Designer, die nicht für private Umgebungen sind, sondern öffentlich für alle?
In unserem Studio haben wir ja schon Straßenleuchten entwickelt. Licht für den Außenraum ist eine faszinierende Sache. Auf Schweizerdeutsch haben wir so einen Begriff, das „Allmend“, das gemeinschaftliche Eigentum, so etwas wie auch der öffentliche Raum. Und Straßenleuchten gehören ja auch allen und niemandem. Gestaltungsansprüche in diesem Bereich sind aber ebenso ein politisches Thema. In den Auswahlkommissionen von Straßenleuchten kommt etwa die Gestaltung erst auf Platz sieben von zehn Punkten. Da spielt es oft kaum eine Rolle, wie sie aussehen. Dann haben wir diese Retro-LED-Funzeln, die so wirken, als würde gleich die Kutsche um die Ecke biegen.

Sie unterrichten auch am ECAL in Lausanne. Selbst haben Sie früher auch Tischler gelernt. Spüren Sie bei den jungen Designern eine Diskrepanz zwischen intellektueller und handfester Auseinandersetzung mit Design?  
Die Designausbildung ist jedenfalls akademischer geworden. Auf der einen Seite gibt es diesen intellektuellen Anspruch, auf der anderen Seite muss man das auch mischen mit dem Handwerk, mit dem Wissen um die Produktion. Ein Designer muss ein König und ein Bauer zugleich sein. Unsere Gesellschaft ist heute derart fragmentiert. Im Design kommen viele Ebenen aber wieder gut zusammen. Als Designer hat man ja auch zwangsläufig mit jenen zu tun, die die Dinge schließlich nähen, bearbeiten und herstellen.  

Also brauchen Designer auch ausgeprägte kommunikative und soziale Kompetenzen?
Ja, auf jeden Fall. Man muss einen Traktor reparieren können − das können heute viele nicht mehr. Aber es gleichzeitig auch verstehen, sich im Königsschloss zu bewegen. Diese Bereiche bedingen sich gegenseitig.

Doch gerade für die „Traktoren“ und Lowtech à la Letterpress scheinen sich Designer zurzeit brennend zu interessieren. 
Was jetzt bei jungen Designern aufkommt, ist dieser Wunsch, alles selbst zu machen. In diesen Maker-Communitys wird das Machen allerdings sehr mystifiziert. Einfach, weil man selbst nicht mehr weiß, wie es eigentlich zugeht und zugegangen ist in den Werkstätten. Ich habe selbst Tischler gelernt. Da hieß es am Freitagabend die Werkstatt putzen. Das hatte nichts von diesem romantischen Bild des Handwerks, das sich viele junge Designer ausmalen. Ich finde, das Ganze wird ein wenig  überhöht. Man vergisst, dass in der Werkstatt zu stehen auch manchmal wirklich scheiße ist. Alles ist ölig, schmutzig, man ist müde am Abend. Am Handwerk interessiert mich selbst eher die Hingabe, die Ethik, die Haltung dahinter, so wie sie auch der Soziologe Richard Sennett beschrieben hat.

Sollen die Designer das Machen also eher den Handwerkern selbst überlassen?  
Da geht es ja manchmal um wirkliche Handwerksfertigkeiten, die man nicht einfach so nebenher, neben dem Entwerfen und Gestalten, ausüben kann. Das braucht Wissen und Erfahrung. Zumindest, wenn man den Anspruch von gut gemachtem Handwerk hat. Da wird zu viel mystifiziert.  

Tipp

Salone del Mobile. Vom 8. bis 13. April zeigt der österreichische Hersteller Wittmann die neuen Kollektionen auf der Möbelmesse in Mailand.

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