Dachgärten: Paradeiser, Gurken, Ranken

Langsam, aber sicher zieht das Urban Farming auch in die Freiflächen in der Höhe ein. Experten raten dazu, die Gemüsebeete mit Grünflächen und Sträuchern zu kombinieren.

Die Idee des Urban Farming, des Anbaus von Gemüse und anderem Essbaren mitten in der Stadt, erobert seit einiger Zeit auch Wiener Dachgärten. Jörg Fricke, Lehrbeauftragter an der Universität für Bodenkultur und Gartengestalter in Klosterneuburg, kennt ein Projekt im fünften Wiener Bezirk, bei dem die Bewohner auf einem rund 100 Quadratmeter großen Dachgarten fast ihren gesamten Jahresbedarf an Gemüse anbauen. Paradeiser, Gurken, selbst Erdäpfel gedeihen hoch über den Dächern von Margareten.

Flachwurzler bevorzugt

„An sich ist das kein Problem“, sagt der Gartenexperte, „man muss nur gezielt bewässern und auf das Düngen nicht vergessen.“ Die Zusammenstellung des Gemüsegartens kann weitgehend nach eigenem Gusto erfolgen: „Der Schwerpunkt sollte allerdings nicht auf Wurzelgemüse liegen, da dafür die übliche Substratstärke beim Dachgarten eher zu knapp ist.“ Fricke empfiehlt Blattsalate, Kraut oder Radieschen, und natürlich alles, was an Ranken hochklettert, von Gurken über Paradeiser bis zu Pfefferoni. Herbert Eipeldauer, Grünraumplaner aus Wien, kann dem Gemüseanbau auf dem Dach ebenfalls einiges abgewinnen: „Wichtig ist zu bedenken, dass Paradeiser, Gurken, Paprika, aber auch Erdbeeren, Ribisel oder Brombeeren viel Wasser benötigen.“ Er rät zu einer automatischen Bewässerung, da das Substrat auf dem Dach das Wasser nicht so hält wie ein natürlicher Boden, wodurch an heißen Tagen täglich mehrmals gegossen werden muss.

Eine Frage der Größe

Die Frage, ob Pflanzentröge oder durchgehender Garten hängt von Größe und Tragfähigkeit des Bodens ab. Als Mindestgröße für eine durchgehende Grünanlage nennt Eipeldauer eine Fläche von 20 bis 25 Quadratmetern, „gibt es weniger Platz, würde ich mit Trögen bepflanzen“, sagt er. Eine weitere Rolle spielt die Tragkraft: Eine durchgehende Fläche erfordert eine mineralisch-organische oder rein mineralische Substratschicht in Stärken von mindesten zehn bis 25 Zentimetern, wobei sie bis zu 400 Kilo pro Quadratmeter wiegen kann. In diesem Nährboden wachsen dann allerdings sogar Bäume: Eipeldauer empfiehlt Zierkirschen oder Zieräpfel – ihre Früchte sind zwar kein Genuss, aber dafür sehen die Bäumchen recht attraktiv aus. Selbst richtige Kirschbäume können auf dem Dachgarten gepflanzt werden, dazu muss aber ein kleiner Hügel aus Substrat gebaut werden, damit die Pflanze entsprechend Platz zum Wurzeln hat.

Den Gemüseanbau empfehlen die Gartenexperten aber eigentlich nur auf etwa 20 bis 25 Prozent der Fläche, da der reine Nutzgarten optisch wenige Highlights bietet. Eipeldauer lässt sich bei seinen Planungen von normalen Gärten am Boden inspirieren. „Auf jeden Fall würde ich eine Rasenfläche oder eine Blumenwiese einplanen, solche grünen Flächen wirken sehr beruhigend“, sagt er. Rund um ein solches Refugium lassen sich dann verschiedenste Blumen und Bodendecker kombinieren: „Entgegen dem Trend zu wenigen Pflanzenarten bevorzuge ich es eher vielfältig, damit es während des ganzen Jahres attraktiv aussieht“, erklärt er.

Verbessertes Kleinklima

Fricke würde außerdem eine Aufenthalts- und Liegefläche mit Holzrost kreieren und daneben einen Duftbereich, „leicht erhöht mit aromatischen Pflanzen, Kräutern, Rosen, das riecht herrlich und gibt auch optisch etwas her“. Lockere Hecken sieht er ebenfalls als Option, etwa einen Schmetterlingsstrauch, der herrlich blüht, „oder hohe Solitärgräser, die geben einem mitten in der Stadt das Gefühl, man sei weit draußen“, meint er. Als Begrenzung des Dachgartens könnte er sich eine pflegeleichte, extensive Begrünung vorstellen. „Und irgendwo noch eine kleine Wasserfläche, wohin Vögel zum Trinken und Baden kommen, das steigert den Erlebniswert enorm.“ Wobei ein solch kleines Stück Natur auch das Kleinklima verbessert, weiß Vera Enzi, Wissenschaftlerin an der Universität für Bodenkultur (Boku) und verantwortlich für den Verband Bauwerksbegrünung: „Je intensiver die Begrünung, je dicker die Substratschicht, desto mehr Wasser wird zurückgehalten und durch die Pflanzen zum Verdunsten gebracht, was einen abkühlenden Effekt bringt“, betont die Expertin. Derzeit testet sie auf der Boku eine spezielle Pergola für Dachgärten, die mit Solarmodulen bestückt ist. Nicht nur private Dachgärten, selbst große Flachdächer von Wohnhausanlagen könnten damit zur Energiegewinnung und zur Verbesserung des Kleinklimas genutzt werden, versichert sie.

Was Sie beachten sollten beim... Gärtnern auf dem Dach

Tipp 1

Sicherheit. Tröge, die in der Nähe des Geländers eines Dachgartens stehen, müssen mindestens 60 Zentimeter hoch sein. Das soll verhindern, dass etwa Kinder einfach raufsteigen und in die Tiefe stürzen können.

Exponierte Pflanzengefäße müssen gut befestigt sein. Ein starker Sturm kann selbst einen schweren Trog in die Tiefe reißen.

Tipp 2

Tragkraft. Eine Substratschicht mit einer Dicke von bis zu 25 Zentimetern ist pro Quadratmeter zwischen 300 und 400 Kilogramm schwer. Damit werden oft die Belastungsgrenzen von Dachflächen oder -terrassen erreicht und bei älteren Häusern sogar überschritten. Vor dem Bau eines Dachgartens muss daher das Gutachten eines Statikers eingeholt werden.

Tipp 3

Förderung. Begrünte Dächer verbessern die Lebensqualität in dicht verbautem Gebiet. In Wien und auch in einigen Bundesländern winken deshalb Förderungen. Es gibt zwar keinen Rechtsanspruch darauf und das jährliche Budget ist begrenzt, aber wenn alle Forderungen erfüllt sind, macht beispielsweise die Stadt Wien bis zu 2500 Euro locker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)

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