Hausaufgabe: Moderne Schulgebäude

Neue Lehrmethoden und Lernumfelder brauchen flexiblere Strukturen – und multifunktionelle Architektur. In den nächsten Jahren werden viele alte Schulen adaptiert und umgebaut.

In Deutsch-Wagram scheint man seit zwei Jahren mit dem neuen gemeinsamen Schulgebäude des Oberstufenrealgymnasiums (BORG) und der Neuen Mittelschule (NMS) zufrieden zu sein. Bürgermeister Friedrich Quirgst freut sich über die Auszeichnung vom Österreichischen Institut für Schul- und Sportstättenneubau (ÖISS), den beiden Schulleitern gefällt die Synergie am Arbeitsplatz, und die Schüler sind froh, dass sie nunmehr die Schule bis zur Matura besuchen können und nicht wie früher nach der Pflichtschule nach Wien pendeln müssen. Eine Zufriedenheit, die sich auch in Zahlen niederschlägt: Im Jahr nach der Fertigstellung Anfang 2012 wurden um 70Prozent mehr Anmeldungen registriert.

„Das Besondere an diesem Projekt war die Planung und Realisierung zweier unterschiedlicher Schulformen in einem Gebäude“, erläutert der verantwortliche Architekt, Robert Diem vom Büro Franz ZT. Synergieeffekte schaffen, lautete das Motto. Umgesetzt wurde dies beispielsweise durch gemeinsam nutzbare Sonderunterrichtsräume, eine dreistöckige Bibliothek als Herzstück des Gebäudes sowie eine Sporthalle mit einer Zuschauergalerie, die sowohl von den BORG- und NMS-Schülern als auch von örtlichen Vereinen am Wochenende intensiv genutzt wird. Eine spezielle Qualität bringt eine weitläufig gestaltete Dachterrasse, die nicht nur der Regeneration in den Pausen dient. Auch so manche Unterrichtseinheit im Freien findet hier oben statt. Der neue Schulbau ist zudem die erste passivhauszertifizierte Bundesschule Österreichs und verfügt über eine kontrollierte Lüftung, eine Grundwasserwärmepumpe und eine Fotovoltaikanlage.

Offenere Bauweise

Die Schule in Deutsch-Wagram gilt als ein Exempel für einen Schulbau der Zukunft und die Ablöse antiquierter Konzepte. „Jahrzehntelang wurden die Anforderungen an Schulgebäude seitens der Verantwortlichen nicht geändert. Standardmäßig wurden rund 60 Quadratmeter große Klassen für Frontalunterricht gefordert. Lehrer sollten 20 Stunden in der Klasse stehen und den Schülern Wissen eintrichtern. Experten fordern seit Langem ein Umdenken“, skizziert Diem die Problematik. Drei Tendenzen im Bereich des Unterrichts seien es, welche die Anforderungen für moderne Schulbauten neu definieren. Erstens der Wechsel unterschiedlicher Lernformen zwischen Frontalunterricht, Arbeit in Kleingruppen und individuellem Lernen. Zweitens ist es die Vermischung von Unterrichts- und Erholungsphasen bei den Schülern. Und drittens spielt der Wunsch nach zeitgemäßen Arbeitsplätzen für die Pädagogen eine Rolle. Für die Konzeption und den Bau von Schulgebäuden ergeben sich daraus laut Diem vielfältige Implikationen. „Offene Gebäude mit flexiblen Strukturen gewinnen an Bedeutung. Großzügige Innen- und Außenräume zur Freizeitgestaltung werden ebenso benötigt wie ein räumliches Angebot für hochwertige Verpflegung. Und die Lehrer, von denen eine ganztägige Betreuung der Schüler gefordert wird, brauchen moderne Arbeitsplätze, um den Unterricht vorzubereiten und Teamarbeit zu pflegen – jedenfalls etwas Besseres als 80 mal 80 Zentimeter große Tischchen, die bestenfalls als Ablage zu bezeichnen sind.“

Komplex: Im Bestand verändern

Auf flexible Raumkonzepte mit teilbaren Klassen, Zonen für Unterricht im Freien, modernen Working-Stations für Pädagogen und dynamischen Begegnungszonen setzt man auch bei der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG). Möglichkeiten, diese Ideen umzusetzen, bieten sich bundesweit jede Menge. Denn 320 Schulstandorte mit einer Fläche von rund 2,8 Millionen Quadratmetern umfasst das Schulportfolio der BIG in Österreich, allein 38 Neubauten oder Generalsanierungsprojekte an Schulen sind in den kommenden vier bis fünf Jahren geplant.

Den Löwenanteil machen dabei Veränderungen in bestehenden Bildungsgebäuden aus – und genau darin liegt auch die große Herausforderung. „Moderne Konzepte und Spielarten bei Neubauten zu realisieren ist eine dankbare Aufgabe. Anspruchsvoller ist es, das im gegebenen Bestand zu schaffen“, erklärt der für den Unternehmensbereich Schulen zuständige BIG-Geschäftsführer Wolfgang Gleissner. Gesetzt wird bei der BIG auf das Know-how aus den laufenden Neubauten und Objekterweiterungen: „Zunächst wird seitens der Unterrichtsverwaltung ein Raum- und Funktionsprogramm an uns gestellt. Wir suchen dann im Rahmen eines Architektenwettbewerbs die beste Lösung. Dabei bringen wir uns auch als Berater der Schuldirektionen ins Spiel, weil wir aus Erfahrung wissen, was zeitgemäß gefordert wird und wie man moderne Ideen baulich sinnvoll realisiert,“ erläutert Gleissner.

Zeitgemäß und sinnvoll, das ist auch aus Sicht der MA56, Wiener Schulen, in erster Linie die multiple Verwendung von Schulraum. „Wir wollen vor allem die Verkehrsflächen minimieren und Raum besser nutzen. Sogenannte Gangschulen, in denen die Nutzflächen weitgehend brachliegen, gehören der Vergangenheit an“, erklärt dazu MA56-Leiter Robert Oppenauer.

Verfolgt wird diese Idee in Wien bereits seit Jahren mit dem Modell Campus plus. Bei diesem geht es um die Umsetzung multifunktionaler Bildungseinrichtungen – diese sollen Kindergarten, Volksschule und Freizeitpädagogik an einem gemeinsamen Standort vereinen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2014)

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