Umgekrempelt: Lebe lieber ungewöhnlich

Ein Getreidesilo als Einfamilienhaus, ein Supermarkt als Wohnanlage, die Zuckerlfabrik mit Lofts. Wohnen an Orten, die früher ganz anders genutzt wurden.

Ein ehemaliger Supermarkt, ein früheres Trocken- und Presshaus, das königliche Eisenbahnamt: Wohnen kann man an den ausgefallensten Orten. Wie ausgefallen diese sein können, überraschte wohl auch die Experten der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, als sie die bunte Palette an Einreichungen für ihren Wettbewerb sahen: „Wohnen an ungewöhnlichen Orten – Umnutzung von Nichtwohngebäuden“ lautete die Vorgabe. 41 renommierte Architekturbüros folgten der Aufforderung und zeigten, wie es sich in Getreidesilos und auf Hochbunkern, in denkmalgeschützten Fabriken und in Bürohäusern gut leben lässt.

Im Kloster

Doch man muss nicht unbedingt nach Deutschland blicken, auch in Österreich wohnt man ganz gerne ungewöhnlich, funktionieren Architekten und Bauträger Gebäude um. So lebt ein Industrieller in einer umgebauten Oper in Wieden, auf dem Dach der Alpenmilchzentrale errichtete das Büro pool Architektur ein Penthouse, Wohnen im Kloster wird derzeit von der Immobiliengruppe RE/MAX umgesetzt, für die ehemalige Liconafabrik sucht man gerade Interessenten. Und die ehemalige Zuckerlfabrik Heller in Wien Favoriten wird gerade zu einem Wohnpark umgebaut – auf 18.000 Quadratmetern Grundfläche entstehen 239 geförderte Miet- und Eigentumswohnungen sowie ein Wohn- und Pflegehaus.

Dass frühere Fabrikshallen zu begehrten Wohnobjekten werden, ist kein Wunder (zu Preisen im Luxussegment siehe auch Seite I 5). Hier finden zwei Trends zusammen, die sich gut ergänzen: Die immobilienökonomische Notwendigkeit, nicht mehr benötigte Gebäude sinnvoll und werterhaltend zu nutzen. Und der Wunsch der Käufer, individuelle Wohnorte zu finden. Dabei geht es nicht nur um die Innenausstattung, sondern auch um den Baukörper und seine Geschichte. Egon Probst von der P.B.E. Immobilien GmbH ist bereits seit 15 Jahren auf der Suche nach Spezialimmobilien mit besonderem Flair, Backsteingebäude aus der Jahrhundertwende haben es ihm besonders angetan. Viel Gefühl in die Revitalisierung zu stecken, ist sehr wichtig: Die schönen, alten Industriefenster schmeiße man nicht einfach beim Fenster hinaus, und die Stahlsäulen sollte man nicht ummanteln.

Im Tanzsaal

Dass der Energieverbrauch in derartigen Wohnungen höher ist als in herkömmlichen, damit rechnen Probsts Kunden. Der Kreis der Klientel beginnt bei Künstlern, geht über Architekten und schließt sich bei Freiberuflern. „Sie brauchen viel Raum, da sie Wohnen und Arbeiten gerne verbinden“, sagt Probst, der selbst in einem ehemaligen Tanzsaal aus der Jahrhundertwende lebt, und sich nach der sechs Meter hohen Decke strecken kann. Adaptiert hat sein Unternehmen bereits die Backsteinfabrik in der Wiener Engerthstraße. Gemeinsam mit dem Architekturbüro the sopht loft wurden Wohn- und Bürolofts auf 5000 Quadratmetern realisiert. Aktuelle Projekte finden sich im Gebäude der ehemaligen Klein-Brüder, in dem die Kleinmodellbahn untergebracht war, oder in einer Kaserne in Stockerau. Probst weiß, was seine Klientel wünscht: keine 08/15-Lösungen, sondern modernes Leben in alten Hüllen.

Auch Paul Misar hat sich auf Wohnen in ungewöhnlichen Gebäuden spezialisiert und dafür seine Handelsfirma aufgegeben. Die Lofts in der alten Mühle in Guntramsdorf gingen weg wie die warmen Semmeln. Und auch sein neues Projekt „Loftcity“ im Süden Wiens – die Bauarbeiten sollen noch diesen Herbst starten – findet Anklang. 26 Altgebäude, teilweise aus Backstein, sollen renoviert, nach zeitgemäßen bauphysikalischen Gesichtspunkten isoliert, und durch neue moderne Glasgebäude im Stil Mies van der Rohes ergänzt werden. Auch hier – wer hätte das vermutet – bleibt die Fernsehserie „Sex and the City“ nicht ohne Wirkung. „Sie hat mich sicher auch beeinflusst“, erzählt Misar, ein Reisender zwischen New York, London und Berlin, der Docks und Fabriklofts nicht nur aus dem Fernsehen kennt.

Weinhändler inklusive

So wichtig, wie das Objekt der Begierde zu finden, ist es auch, den richtigen Ort auszuwählen. Und dann eine Infrastruktur zu schaffen, die Luxus im Detail bietet. Bei Misar etwa heißt das: italienische Delikatessen, Nobelweinhändler, Zustelldienst für Nahrungsmittel, eine Putzerei, ein Reinigungsdienst, der den Wohnraum wieder aufmöbelt.

Trotz allem bleibt die große Herausforderung, ein geeignetes Objekt zu finden, dessen Grundbausubstanz in Ordnung ist. Und bei dem eine Umwidmung zu realisieren ist, ohne dass einem Entwickler zu viele Steine in den Weg gelegt werden. „Es gibt so viele leer stehende Fabriken. Die Gemeinden wissen oft nicht, was sie damit machen sollen. Sie abzureißen kommt oft wegen des Denkmalschutzes nicht in Frage. Da ist es besser, den Ort neu zu beleben“, so Misar.

LINKS

■Infos zu den ausgezeichneten Projekten des Wettbewerbs „Wohnen an ungewöhnlichen Orten“ der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen gibt es unter www.aknw.de

■Links zu Projekten:
www.wohnloft.at, www.pbe.at
www.sophtloft.at, www.buwog.at (Heller-Fabrik).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2008)

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