Küchen: So nah am Feuer

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Von verrußter Werkstatt zum Edelstahlmonolith: Die Küchengeschichte ist Menschheitsgeschichte.

Die Küche ist ein Ort der Transformation, das Rohe wird gekocht. Und auch die Küche selbst hat sich in ihrem Wesen entscheidend verändert. Früher hat sie vor allem jene Bedürfnisse gestillt, die auf der Maslowschen Pyramide ganz unten an der Basis stehen würden, die physiologischen, wie Nahrung und Wärme. Inzwischen ist sie auch ein Ort geworden, der die Bedürfnisse ganz oben in der Pyramide befriedigt, die erst relevant werden, wenn der Magen täglich voll ist und das Haus schön geheizt. Dazu gehört auch die individuelle Selbstverwirklichung, die kann im Kochtopf passieren oder im von Designherstellern gestalteten Raum drumherum. Die Küche ist vom schmutzigen Arbeitsplatz über das sauber-adrette Einbauküchen- Familienidyll ins Zentrum der menschlichen Lebensräume zurück übersiedelt.

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Im Wiener Hofmobiliendepot folgt derzeit die Ausstellung „Küchen/Möbel. Design und Geschichte“ den gestalterischen und technologischen Entwicklungslinien des Kochens und der Küche weit in die Vergangenheit. Lange Zeit war die Küche ein verrußter, verrauchter Arbeitsplatz, in dem man notgedrungen auch wohnte. Doch die Geschichte beginnt noch früher: „Die Frage war, wo wir tatsächlich anfangen, die Küchengeschichte zu erzählen“, sagt die Kuratorin der Ausstellung Eva B. Ottillinger. Schließlich hat sie sich für jenen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte entschieden, an dem die Menschen selbst bestimmen konnten, wo und wann das Rohe zum Gekochten wird. Das erste Küchenwerkzeug überhaupt war somit der Feuerstein. Die Küche war immer dort, wo Feuer war. „Das Feuermachen war ein massiver Entwicklungsschritt in der Menschheitsgeschichte“, erzählt Ottillinger. Tausende Jahre, bis schließlich Gas und Strom aus der Wand die Küche mit Energie speiste, hat das Feuer die Küche geprägt. Die noch wichtigere Energiewende war trotzdem jene, als die Menschen plötzlich nicht mehr der nächsten Mahlzeit nachhecheln mussten wie die Raubtiere. „Durch die erhitzte Nahrung konnte man mehr Energie zu sich nehmen. Und durch den Fleischkonsum wuchs auch das Gehirn“, erzählt Ottillinger. Die Menschen wurden sesshaft, hegten Tiere ein, streuten Saat aus und lebten seitdem küchentechnologisch betrachtet tausende Jahre auf demselben Niveau, in verrauchten und verrußten Küchen, in denen in der Mitte das Feuer brannte. Dort stellten die Menschen noch in die alpinen bäuerlichen Rauchkuchln die eisernen Dreibeintöpfe hin, in denen der Eintopf köchelte.

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Die Küche wird sauber. „Der Rauch des Herdfeuers erfüllte den gesamten Raum“, sagt Ottillinger. Und mittendrin wurde gewohnt, gekocht, gegessen, gearbeitet. Nur geschlafen wurde meist in einer seperaten Stube. Die Hühner rannten durch die Kuchl wie die Kinder. Irgendwann in der Menscheitsgeschichte begannen sich die Wohnfunktionen in verschiedene Räume aufzuteilen. Die Menschen im Mittelmeerraum hatten schon früher damit begonnen, die Hauswirtschaft samt Küche und schmutziger Arbeit, die man darin verrichtete, aus dem zentralen Lebensraum auszulagern. Mitte des 19. Jahrhunderts konnte man schließlich den Rauch endgültig aus den Wohnräumen verbannen, indem man das Feuer in den Herden einschloss. Anfangs vor allem, um das Brennholz effizienter zu verbrennen. Der Nebeneffekt davon: Die Küche wurde zu einem Raum, der allmählich auch die Aufmerksamkeit von Architekten und Gestaltern bekam. „Plötzlich war die Küche ein sauberer Ort“, sagt Ottillinger, „und überall sah man die glatten, weiß gestrichenen Küchenmöbel“. Um die Sauberkeit gestalterisch noch einmal extra zu unterstreichen. Die Wiener Moderne um 1900 hatte sich vorgenommen, keine Lebenswelt gestalterisch auszulassen. Und diesen Gestaltungswillen zogen etwa Josef Hoffmann oder Peter Behrens, in einer Zeit, in der sich Architekten sogar der Türschnallen annahmen, konsequent durch bis in die Küche und ihre Möbel.

In der Zwischenkriegszeit verschränkten sich Architektur und Küchengestaltung noch einmal, in einem anderen Ansatz. Der kommunale Wohnbau in Wien oder etwa Frankfurt wollte die Menschen nicht nur mit standardisiertem Wohnraum, sondern auch mit standardisierten, auf Effizienz getrimmte Küchenlösungen versorgen. Die berühmte Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky entsprach diesem Anliegen, konzipiert wurde sie als „Arbeitsküche“. Eva Ottillinger ist besonders stolz, sie in ihrer Ausstellung zeigen zu können: „Sie kommt aus der Siedlung Römerstadt in Frankfurt.“ Inklusive Bügelbrett. Zehntausendmal ist sie gebaut worden, als System „fest mit dem Bau verbundener, raumangepasster Einrichtungsgegenstände“. In den 1950er-Jahren durfte die Einbauküche dann auch optisch brillieren, Ähnliches hatte das Frauenbild jener Zeit für diejenigen vorgesehen, die zwischen zarten Pastelltönen das Essen zubereiteten.

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Simple Geometrien. Mit der Küche Eindruck zu schinden, das war auch kein Konzept, das das 21. Jahrhundert erfunden hatte. Schon in den Hofküchen, wie auch in der Wiener Hof burg, rüstete man sich gern mit den neuesten Technologien und Küchenutensilien aus. Inzwischen ist die Repräsentationsfunktion auch etwas, was Küchen in der gesellschaftlichen Mittelschicht erfüllen sollen. Früher machten noch die Sofa-Landschaften, im besten Fall aus Leder, Eindruck auf Besucher. Heute sind es Dampfgarer und Küchen, die Designer auf grundlegende Geometrien reduziert haben, auf die des Blockes. Im besten Fall werden diese im Zentrum des Lebensraums positioniert.

Doch die Küche und das Wohnen als ein gemeinsames Feld zu sehen, ist keine Idee der 1990er-Jahre. Schon in den 1970ern wollten Designer und Architekten die bürgerlich- einzementierten Küchenkonzepte aufbrechen. Sogar das Büro Coop Himmelb(l)au hat in seiner revolutionären Phase eine Kochstation entworfen, die aber nie in Serie ging. Otl Aicher entwarf für den Hersteller Bulthaup Anfang der 1980er-Jahre die Küche als Werkstatt einer neuen Lebenskultur. EOOS spitzten die Idee der Werkstatt Küche in ihrem späteren Entwurf der b2 für Bulthaup zu archaischen Funktionen und Formen zu.

Der Designer Norbert Wangen hat schon vor Jahren, zunächst unter seinem eigenen Label, die Küche formal auf das Wesentlichste, das Monolithische zurückgeschraubt, in Edelstahl gefasst, komplexe Funktionen visuell verschwinden lassen und zum Teil mitten in die Räume gestellt. Inzwischen produziert der Hersteller Boffi seine Entwürfe, die während des Kochens ihre funktionalen Hilfestellungen entfalten und sich nach dem Kochen wieder in ihre skulpturalen Körper zurückziehen. Inzwischen darf wieder Farbe und ein Hauch von Emotion das Küchenbild verkleiden: Ihren eigenen Küchenentwurf, „Salinas“ für Boffi, nennt die Designerin Patricia Urquiola „einen Traum ihrer Kindheit“. So wie man sich vage, aber voller Emotion, an das Lieblingsessen bei der Oma erinnert.

Tipp

Küchen/Möbel. Design und Geschichte. Die Ausstellung ist noch bis 26. Juli 2015 im Hofmobiliendepot Möbel Museum Wien in der Andreasgasse 7, 1070 Wien, zu sehen. www.hofmobiliendepot.at

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