Wohnformen: Alt- oder Neubau?

Wohnen im Altbau aus der Gründerzeit oder im Neubau auf der grünen Wiese - beide Wohnformen haben ihre Vor- und Nachteile.

Leben im Neubau kommt für die Wienerin Ewa Goldmann nicht infrage. Ihre eindeutige Präferenz beim Wohnen heißt Altbau: „In solchen Häusern kann man atmen, die Räume haben Weite, sind nicht so klein und verschachtelt wie in einem Neubau, man hört nichts von den Nachbarn“, erzählt sie über die Vorzüge eines Hauses aus früheren Zeiten.

Vor fünf Jahren hat sie mit ihrer Lebensgefährtin eine Wohnung im zehnten Bezirk renoviert, die sich in einem vor mehr als hundert Jahren erbauten Haus befindet. Über 30.000 Euro investierten die beiden in das 90 Quadratmeter große Appartement: „Es war viel zu tun, um hier modernen Wohnkomfort zu schaffen“, erzählt Goldmann. Eine Etagenheizung wurde eingebaut, Fußböden, Türen, Wände renoviert und Elektroleitungen neu verlegt. Außerdem wurden zwei Kabinette zu einem großen Zimmer zusammengelegt. Heute ist die Wohnung ein kleines Schmuckstück mit viel Flair. Dafür sorgen großzügige Flügeltüren, Sternparkette und interessante Details: Im Zuge der Renovierung wurde beispielsweise ein kleines rundes Fenster im Wohnzimmer freigelegt, das man bei einer früheren „Modernisierung“ zugemauert hatte.

Eher nichts für Familien

Diese besondere Atmosphäre macht Altbauten in Wien für viele Menschen interessant. Das bestätigt Bernd Gabel-Hlawa, Geschäftsführer der Immobilienplattform FindMyHome.at: „Vor allem in den Bezirken eins bis neun ist die Nachfrage nach Wohnungen im Altbau sehr hoch“, erzählt er. Die großzügigen Wohnungen mit hohen Räumen werden aber in erster Linie von jüngeren Leuten gesucht: „Paare, die unter den Begriff ,double income, no kids‘ fallen, oder maximal drei junge Menschen, die in einer Wohngemeinschaften zusammenleben wollen, sind die Interessenten“, berichtet er.

Familien, vor allem wenn Kinder da sind, und ältere Menschen haben nach den Auswertungen der Sucheingaben auf seiner Immobilienplattform andere Ziele. Sie bevorzugen moderne Bauten: „Für diese Gruppen sind die inneren Bezirke weniger interessant, sie suchen mehrheitlich Neubauten außerhalb des Gürtels“, so der Experte. Besonders begehrt bei den Neubauwohnungssuchern mit Familie sind derzeit die Bezirke 22 und 14.

Die Nachfrageanalyse macht einen der wesentlichen Unterschied zwischen Wohnen im Alt- und im Neubau deutlich: Die Gründerzeithäuser in den dicht verbauten inneren Bezirken bieten für Familien nur bedingt gute Wohnbedingungen. Grünflächen sind dort grundsätzlich rar und im unmittelbaren Wohnbereich gibt es meist nur wenige Spielmöglichkeiten für Kinder. Gemeinschaftsräume zum Abstellen von Kinderwagen und Fahrrädern finden sich ebenso wenig wie Garagen. Ganz anders ist das in den meisten der in den vergangenen zehn oder zwanzig Jahren errichteten Neubauten.

Besonders bei den größeren Anlagen schufen die Bauträger zahlreiche Infrastruktureinrichtungen für Familien. Die Möglichkeiten reichen von Spielplätzen im Freien und unter Dach über Gemeinschaftsräume für verschiedenste Aktivitäten bis zur Garage. Oft liegen Neubauten auch inmitten großzügiger Grünanlagen. Nicht nur solche Einrichtungen fehlen bei Altbauten. Sie haben weitere Nachteile, wie selbst Altbaufan Goldmann zugibt: „Der Keller des Hauses ist in einem grauenhaften Zustand, feucht und nicht nutzbar und immer wieder sind im Haus kleinere Reparaturen fällig.“ Rainer Pawlick, Innungsmeister der Landesinnung Bau Wien, kennt solche Klagen: „Ein Altbaukeller lässt sich durchaus in einen brauchbaren Zustand versetzen“, sagt er. Die Trockenlegung sei allerdings aufwendig und kostet viel Geld: „Der Aufwand steht meist nicht in Relation zum Raumgewinn, deshalb bleiben Altbaukeller oft in schlechtem Zustand“, erläutert er. Eine Schwachstelle bei Gründerzeithäusern können auch die Tramdecken sein: Oft sind deshalb die Fußböden uneben und schwingen beim Gehen. „Das muss aber noch kein Zeichen sein, dass die Decke schlecht ist“, beruhigt Pawlick. Wer eine Altbauwohnung anmietet, sollte allerdings auf Nässeschäden auf dem Fußboden achten: „Als Folge eines ausgeprägten Wasserschadens können die Trame geschädigt sein.“ Im Zweifelsfall lohnt sich eine Untersuchung der Decke.

Auch wärmetechnisch sind Altbauten nicht wirklich das Gelbe vom Ei. Vor allem in den oberen Stockwerken bringen ungedämmte Decken hohe Energieverluste, die sich bei den Heizkosten bemerkbar machen: „Außen wird sich bei der schönen Fassade eines Altbaus keine Dämmung anbringen lassen“, erläutert Pawlik, „aber im Innenbereich sind durchaus Maßnahmen möglich, um einen guten Standard zu realisieren.“

Wärmeschutz und Wahlfreiheit

Solche Probleme mit Wärmeschutz kennen Neubaubewohner nicht. Heute erbaute Wohnhäuser bieten meist Niedrigenergiehausstandard, immer öfter werden Wohnungen in Passivhäusern angeboten, in denen die Heizkosten gegen null gehen und eine automatische Lüftung für Komfort sorgt. Und nicht nur das: Auch bei den Baumaterialien besteht bei einem Erstbezug die Wahl. Beton-, Ziegel- oder Holzbauweise stehen zur Wahl, selbst Häuser, bei denen großteils baubiologisch einwandfreie Materialien verwendet wurden, sind keine Seltenheit. Wer auf technische Perfektion Wert legt, ist beim Neubau also zweifellos besser aufgehoben. Drei Meter hohe Räume, einladende Flügeltüren, knarrende Fußböden und das Flair vergangener Zeiten sucht man dort aber vergeblich.

INFO

Altbauten – vor allem Häuser aus der Gründerzeit – begeistern viele Menschen mit ihrer besonderen Atmosphäre. Flügeltüren, Sternparkett und hohe Räume sind charakteristisch für Wohnungen im Altbestand. Dafür fehlt oft eine Infrastruktur für Familien.

• Neubauten wiederum befinden sich im Idealfall in makellosem Bauzustand und sind energietechnisch auf dem letzten Stand. Die großen Neubauanlagen bieten außerdem vom Kinderspielplatz bis zum Parkplatz eine gute Infrastruktur für alle Interessengruppen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.