Wo Wanderer zu Hause sind

Wohngeschichte. Haus MuT inmitten der steirischen Bergwelt bietet Nachhaltigkeit und ermöglicht das Schlafen unter freiem Himmel.

Mit Blick in den Sternenhimmel entschlummern, in der Früh von Vogelgezwitscher und einer frischen Brise Morgenluft geweckt werden – so lassen Magda und Thomas Leskoschek ihre Tage am liebsten ausklingen und beginnen. Sie haben das Schlafen unter freiem Himmel bei mehrtägigen Wandertouren auf Korsika oder im Toten Gebirge schätzen gelernt. Vor einem Jahr sind sie in ihr Haus MuT gezogen, und nun schlafen sie von Mai bis Oktober mit den Kindern Liam, 2, und Julian, geboren vor zwei Monaten, auch zu Hause „open air“.

Naturverbunden

Haus MuT – das Kürzel steht für Magda und Thomas – befindet sich in Gai, inmitten der obersteirischen Bergwelt. Das Konzept der ungewöhnlichen Schlafplätze: An den Giebelseiten sind acht mal zwei Meter große, windgeschützte und überdachte Balkone, die dem Elternschlafzimmer sowie den Kinderzimmern vorgelagert sind und als Außenschlafbereiche fungieren. Geplant haben das Haus Magda Leskoscheks Bruder Gunar Wilhelm und Sandra Gnigler, zusammen betreiben die beiden das Büro Mia2/Gnigler/Wilhelm/Architektur. Ein Holzriegelbau mit Zellulosedämmung und Lehmputz bringt der naturverbundenen Familie ökologische Nachhaltigkeit. Der massive Unterbau aus Carport, Pool und Keller greift längs ins Gelände aus und wird damit als Teil der Landschaft wahrgenommen. Dieser kompakte Sockel wird von einem auf ihm ruhenden Holzhaus mit Satteldach überragt, eine Reverenz an den traditionellen obersteiermärkischen Baustil: steile Dächer und Stadel, die größer als die Wohnhäuser sind. Umlaufend überdeckte Außenräume erweitern den Wohnraum ins Grüne hinaus. „Im Sommer spendet das überragende Holzhaus-Obergeschoß Schatten. Im Winter, wenn die Sonne tiefer steht, lässt es viel Licht ins Haus“, erzählt der Hausherr.

Die klare Konstruktion aus zwei Längsträgern und normal darauf angeordneten auskragenden Querträgern wurde in Sichtqualität ausgeführt und ist im Innenraum, teilweise auch im Außenraum erlebbar. Die Raumhöhen werden durch die Trägerzwischenräume erweitert, die Sturzhöhen sind im Sinn einer guten Fassung bewusst niedrig gehalten. Ein Highlight ist der Ausblick: Die Berge rufen hier visuell ziemlich laut, sind von den Zimmern im Obergeschoß schön zu sehen, auch vom Esstisch aus kann man den Ausblick genießen. Schaut man von dort gen Osten, scheint das Haus mitsamt dem Pool zu schweben: Mit dem Aushub wurde das Grundstück aufgeschüttet, das ermöglicht trotz Hanglage die Positionierung von Gebäude und Garten auf einer Ebene, grenzt das Grundstück zur Straße hin ab – und erlaubt den beeindruckenden Ausblick über das Hügelland um Trofaiach und Leoben. Magda Leskoschek: „Mit Blick auf die zwischen den Bergen aufgehende Sonne zu frühstücken ist das Schönste für mich.“

Der Turm

Ein kleiner quadratischer Turm in Masssivbauweise durchbricht die Geschoßigkeit im Gebäudeinneren. Im Obergeschoß thront auf dem Turm ein gläsernes Badezimmer: Es hat statt herkömmlicher Wände Glasscheiben, nur zum Gang hin bietet eine Holzwand Sichtschutz. „Am Anfang war das gewöhnungsbedürftig, aber inzwischen genieße ich das offene Raumgefühl, während ich mich in der Wanne entspanne“, sagt Thomas Leskoschek.

Auf dem Gipfel des Turms befindet sich der offene, selten genutzte Fernsehraum. Voraussetzung für diese drei Ebenen sind die reduzierten Raumhöhen von Vorraum und WC im Erdgeschoß. Um den massiven Turm herum verleiht ein offener Luftraum bis hinauf zum First den 120 Quadratmetern Wohnfläche Großzügigkeit. Ins Obergeschoß gelangt man über eine gestockte Betonstiege. „Die Schwellen werden, wie bei Steinstiegen in alten Bauernhäusern, immer weicher und runder“, erklärt der Hausherr. „Durch die Nähe zum Kachelofen sind sie im Winter angenehm warm.“ Das ökologische, eigenständig zeitgenössische und harmonisch ins Ortbild integrierte Gebäude mit den ungewöhnlichen Features überzeugt auch die Architekturwelt: Beim Architekturpreis „Das beste Haus 2015“ wurde Haus MuT von der Jury für die Shortlist nominiert und gewann den Publikumspreis. Die ausgezeichneten Architekten begannen das Projekt übrigens ungewöhnlich, aber passend: mit einer Wanderung durch die Region.

DAS SIEGERHAUS

„Das beste Haus 2015“ – Publikumspreis: Für alle 24 für den Architekturpreis 2015 nominierten Häuser konnte auf www.dasbestehaus.at gestimmt werden. Gewonnen hat mit 3654 Stimmen das Haus MuT in der Steiermark. Der Architekturpreis „Das beste Haus“ feiert heuer sein zehnjähriges Jubiläum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2015)

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