Ein Ort für eine Art Oper

Thomas Desi, künstlerischer Leiter der neuen Musiktheatertage Wien, und das Werk X im Hintergrund.
Thomas Desi, künstlerischer Leiter der neuen Musiktheatertage Wien, und das Werk X im Hintergrund.(c) Dimo Dimov
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Grätzeltour. Das Kabelwerk als Stadtteil in sich: Hier finden bald die ersten Musiktheatertage Wien statt. Wir waren vor Ort mit einem der künstlerischen Leiter, Thomas Desi.

Theaterpublikum wird das Kabelwerk vielleicht noch aus der Zeit kennen, als hier Inszenierungen wie Peter Steins „Faust“ oder Hubsi Kramars „Hamlet“ liefen. Im Rahmen einer kulturellen Zwischennutzung wurden zwischen 1997 und 2000 aufsehenerregende Produktionen gezeigt. Danach wurde auf dem einstigen Areal der Kabel- und Drahtwerke vieles abgerissen, umgebaut, neu gebaut, dazugebaut. Wohnungen, Flächen für Geschäfte, Dienstleister und pädagogische Einrichtungen sowie ein Pflegehaus entstanden im Ausmaß eines kleines Stadtentwicklungsgebietes, in dem die Freiräume die Verbauung vorgaben und nicht umgekehrt. Verschiedenen Wohnformen wurde die Tür geöffnet. Zudem wurde für eine regelmäßige kulturelle Nutzung Platz geschaffen – das „Palais Kabelwerk“. Vor Kurzem mündete dessen Zusammenarbeit mit der Theatergruppe Garage X in eine neue Spielstätte namens Werk X.

Kunst in Industriearchitektur

Dieses Werk X befindet sich hinter der revitalisierten Fassade in der Oswaldgasse, der kleinen, stillen Allee an der Hinterseite des Kabelwerks. Und an einer Stelle, an der man die Funktion der gründerzeitlichen Industriearchitektur am besten ablesen kann: In der Fabrik wurden vor über hundert Jahren Drähte und Kabel hergestellt, später übernahm Siemens den Standort. Nun werden im Werk X in Kürze erstmals die Musiktheatertage Wien stattfinden. Als niederschwelliges Festival, bei der „eine Art Oper“ die Genres überschreitet. Die beiden künstlerischen Leiter, Thomas Desi und Georg Steker, bringen sieben Musiktheateraufführungen auf die Bühne, hinzu kommen Talks und Lectures. Manche Produktion bindet gleich mehrere Orte im weitläufigen Areal ein. „Die Kurzstücke von Ödipus Lost wandern“, erklärt Desi die Kooperation mit der „Oper unterwegs“. „Da wird an verschiedenen Orten gespielt, in der Waschküche, auf dem Platz mit den Springbrunnen, auch beim Häuserl am Spitz in der Schrebergartensiedlung nebenan“, so Desi. Letzteres ist übrigens eine urige Gastgartenadresse jenseits der Trasse der U6, auf die das Pflegehaus hinüberblickt. Eine ungewöhnliche Theatersituation ergibt sich überdies oben im Poolhaus, wo die Bewohner des Kabelwerks das Schwimmbecken gern nutzen. Stufen bilden eine Tribüne, von denen die Zuschauer die Uraufführung von „Stille Wasser“ verfolgen können.

In den Appartements darunter wird übrigens das Modell des temporären Wohnens umgesetzt, wo sich noch mehr als in den anderen Objekten Menschen unterschiedlicher Herkunft begegnen. Ganz schön viel Gelände: In dem fast 70.000 Quadratmeter großen Areal leben an die 3000 Menschen. Potenzielles Publikum. Und wie viele Besucher von auswärts zu dem neuen Festival kommen werden? „Der Ort muss erst eingeführt werden“, meint Desi, für drei Jahre sind die Musiktheatertage Wien hier projektiert. Schon länger verfolgt Desi die Idee „einer dezentralen Kulturund eines Theaternetzwerks der Peripherie, die ein nahes Publikum findet“.

Obwohl es bei dem Festival bewusst kein Motto gibt, beschäftigen sich die Aufführungen mehr oder weniger mit einem Großthema: Wohnungsnot, Immobilienspekulation, Verdrängung von Menschen aus ihrem Wohn- und Lebensraum. „Alles beginnt mit dem Latte Macchiato und dem aufgeklappten Laptop“, meint Desi ironisch zur Gentrifizierung. Beim Kabelwerk ist sie zum Glück noch lang kein Thema.

ZUM ORT

Kabelwerk. Das Areal in Meidling gehört zu den gelungenen städtebaulichen Beispielen in Wien, in dem einige Experimente realisiert wurden. Es hat die Atmosphäre einer gewachsenen Siedlung. www.kabelwerk.at

Musiktheatertage Wien: vom 27. 8. bis 12. 9., Hauptspielstätte ist das Werk X, mehrere Orte auf dem Gelände werden miteinbezogen. Es wird sieben Uraufführungen geben, dazu mehrere Lectures und Talks. www.musiktheatertage.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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