Wohnen: Ein Plädoyer für Offenheit

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Die Möbelhersteller schauten auf der Messe IMM Cologne in die Zukunft und in die Vergangenheit des Wohnens zugleich.

Wer Trends hinterläuft, gerät schnell ins Hecheln. Schließlich bewegen sie sich in Kurven. Da geht’s lang steil bergauf und kurz bergab. Bis alle Craft-Beer-Lokale dieser Welt einmal fertig konzipiert, eingerichtet, möbliert und aufgesperrt sind, könnte der Scheitelpunkt der Kurve längst zum Scheiterpunkt geworden sein. Jedenfalls baumelte das, was derzeit überall von Craft Beer bis zum Burger-Burrito-Lokal baumelt, auch auf der IMM Cologne in Köln an etlichen Messeständen: die Retro-Glühbirne am Textilkabel. Dem Kölner Messestandort erweisen die großen Möbelhersteller gern Reverenz, aber übertreiben mit eigens konzipierten Messeständen oder gänzlich neuen Ideen wollen es die meisten auch wieder nicht. Dafür zwängt sich der eine oder andere ambitionierte Hersteller ins enge traditionelle Sichtfeld der Aufmerksamkeit. Manche davon sind in Europa bereits ein paar Jahre auf dem Markt, aber von Österreich und seinen Möbelagenten noch völlig unbemerkt. Wenn Mailand und sein Salone del Mobile der Schauplatz des Möbeldesigns sind, dann ist Köln tatsächlich noch der traditionelle Handelsplatz. Köln ist gut besucht, Mailand ist überlaufen. Und selbst wenn es häufig nur neue Familienmitglieder bestehender Kollektionen sind, die da ins Rampenlicht gerückt werden: Auch die Neuheiten des vergangenen Jahres sieht man plötzlich durch das Gestrüpp der Retro-Glühbirnen in einem ganz anderen – und manchmal bewussteren Licht. Neues gab es dennoch genug. Auch wenn das Unveröffentlichte vielfach einem Motto gehorchte: „Das bewährte Modell x. Jetzt auch in y“.

Neue Offenheit. Das Gesamtbild der Messe in Köln zeichnet jedenfalls ein Fixpunkt traditionell deutlich mit: jener Entwurf einer Installation in den Messehallten, in dem renommierte Designer die Tiefenstruktur der aktuellen und zukünftigen Wohntrends skizzieren. „Das Haus“ ist eine Simulation eines Wohnhauses, in diesem Jahr gestaltet von Sebastian Herkner, einem Designernamen, von dem man sich in diesem Jahr bei einem Messerundgang fast verfolgt fühlen konnte, so oft tauchte er in verschiedenen vergangenen und aktuellen Gestaltungen diverser Hersteller auf. Sein Konzept für „Das Haus“, in dem er seine Perspektive auf das Wohnen von heute verdichtet, geriet zu einem unmissverständlichen Statement für Offenheit. Und dabei schickte Herkner sogar politische und gesellschaftliche Zwischentöne bewusst mit. Schließlich ist Wohnen nicht nur ein Thema für alle, die sonst keine anderen Sorgen haben. Sondern vor allem auch für die, die Tausende Kilometer fern von ihrer Heimat heute Wohnungen und Herberge suchen. „Es ist ein Haus, das keinen aussperrt“, merkte Herkner an, „eine Botschaft gegen die Tendenz der Abschottung.“ So gelang dem Designer eine überaus weiche Architektur, die Wände gegen hängende Textilien tauschte, in der das Kreisrunde bewusst gegen das Eckige agierte. Und in der Einblicke und Durchblicke gewünscht waren und forciert wurden. Ein farbenfrohes, einladendes Wohnchamäleon, in dem er auch einige seiner jüngsten Entwürfe für Hersteller wie Ames oder ClassiCon positioniert hatte. Speziell für die Messe gab der Hersteller eine modifizierte Variante des „Bell Table“ heraus, der gläserne Tischfuß glänzt in der „Das Haus 2016“-Edition in Weiß. Ein beinahe programmatischer Vorgang für eine Ära im Möbeldesign, die die Re-Edition pflegt.

Traditionsbewusst. Das dänische Label AndTradition etwa präsentierte „Bellevue“, einen Leuchtenentwurf von Arne Jacobsen. Der Hersteller Alias zeigte eine Limited Edition, bei der sich der Schweizer Alfredo Häberli mit dem Entwurf des „Spaghetti Chair“ aus dem Jahre 1979 von Giandomenico Belotti auseinandergesetzt hatte. Walter Knoll schickte den Stuhl „375“, einen Entwurf aus dem Jahr 1957, ins Rennen um die Aufmerksamkeit. Dabei hatte der Hersteller auch eine Reihe von Neuheiten auf seinem Messestand ausgebreitet. Wie das Sofa „Isanka“ etwa, die nächste Etappe einer konsequenten Sippenbildung, die die Gestalter des österreichischen Büros EOOS vor zwei Jahren begonnen hatten. Jetzt eben auch als Sofa und ebenso als „Isanka Chair“. Aber traditionelle Hersteller trauen sich manchmal auch aus der Komfortzone erfolgreicher Modelle heraus: Wie Thonet etwa, wo man nicht nur Tisch-Expertise von dem Niederländer Jorre van Ast eingeholt hat, sondern sich auch mit Leuchten versucht: In Kooperation mit dem Hersteller Oligo stellte man drei Modelle vor, die das Merkmal „Thonet“ gestalterisch in ihrer DNA tragen sollen.

Die italienischen Produzenten waren artig vor Ort, doch mit fast deutscher Zurückhaltung rückten sie nur zaghaft mit Neuheiten heraus, schließlich wartet noch der Salone del Mobile in Mailand im April. Trotzdem: Flexform zeigte „Twins“, ein Sofabett von Giulio Manzoni, das aus einem Sofa zwei Einzelbetten macht. Driade schickte „‚Aesel“ nach Köln, eine dünne Glasplatte auf hölzernen Beinen, von Ludovica und Roberto Palomba. Und Philippe Nigro, der Franzose, durfte für denselben Hersteller seine Accessoire-Kollektion in Kooperation mit Moleskine vorstellen.

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