Neuer Lebensraum mit direktem Wasserzugang

Toronto
TorontoGerald Pohl
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Londons Docklands und die Hafencity Hamburg waren Vorreiter, jetzt ist es ein weltweiter Trend in der Stadtplanung.

In Wien hat die Waterfront immer eine Verbindung zur Donau. So befinden sich an der Neuen Donau die Büro- und Wohnhochhäuser der Donau City. Nebenan, anstelle des ehemaligen Kinocenters direkt an der Reichsbrücke, wird noch heuer mit dem Bau eines 150 Meter hohen Wohnturms samt Nebengebäude begonnen, der von Beginn an umstritten war. Danube Flats – so der Name des Projekts – würde Apartmentbesitzern des dahinter liegenden Harry-Seidler-Hochhauses die Aussicht auf Fluss und City verstellen, so die Befürchtung. „Durch die besonders schlanke Form des Turms und das Reduzieren der verbauten Fläche des Wohngebäudes auf acht Geschoße ist nun für sämtliche Bewohner des Hochhauses Neue Donau ein freier Durchblick auf die Neue Donau oder das Kaiserwasser gegeben“, sagt Manuela Haromy vom Projektentwickler S+B Wohnbau. Rund um das Gebäudeensemble werden Grünbereiche angelegt, die der Öffentlichkeit frei zugänglich sein werden. Im Zuge dessen soll es auch zu einer Neugestaltung der Uferzone und des daneben liegenden U-Bahn-Zugangs kommen. Diese Bereiche werden eine Einheit mit der ehemals verwahrlosten Copa Cagrana bilden, deren Umgestaltung nach den Plänen vom Büro LAAC, und den Architekten Kathrin Aste und Frank Ludin bereits begonnen wurde. 2017 soll eine 300 Meter lange Zone mit Stadtstrand, hochwertiger Gastronomie und Sportmöglichkeiten entstehen. Bei beiden Projekten ist der Wiener Magistratsabteilung 21 (Stadtplanung) die Vernetzung für Fußgänger und Radfahrer mit den angrenzenden Stadtteilen von besonderer Bedeutung.

Waterfront-Manager

Bis vor wenigen Jahren gab es mit Peter Klopf sogar einen eigenen Waterfront-Beauftragten in Wien. Auf seine Initiative zurückzuführen ist die Neugestaltung der Kaianlage bei der Reichsbrücke. „Wir wollten mit schlichten Mitteln den Bereich für Reisende und Spaziergänger erlebbar machen“, erklärt Landschaftsarchitekt Gerhard Rennerhofer. Das Geschehen spielt sich jetzt in klar strukturierten Zonen ab: Verkehrsflächen für Busse und Lkw, Bewegungsflächen für Fußgänger und Radfahrer. Entstanden sind Grün- und Freiräume sowie Outdoor-Einrichtungen wie Hängematten, Fitnessgeräte und ein begehbarer Brunnen.

Durch die bevorstehende Errichtung des Marina-Decks in Verbindung mit dem Marina Tower einige Kilometer stromabwärts soll eine öffentlich zugängliche Querung des Handelskais und der Donauuferbahn an das rechte Donauufer erfolgen. Die MA 21 erwartet sich dadurch eine „Inszenierung und Aufwertung des rechten Donauufers durch Gestaltungsmaßnahmen im Uferbereich“, die eine Impulswirkung haben soll. Am Donaukanal im Stadtteil Erdberg sind ebenfalls einige Projekte am Wasser in der Realisierungsphase (Triiiple, Laend Yard).

An Maas und Rheinhafen

Auch im holländischen Rotterdam setzt die Stadtverwaltung auf Leben am Fluss: Das Ufer rund um die Erasmusbrücke hat innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte eine Neugestaltung erhalten. „Von einer Stadt mit einem Welthafen zu einer vernetzten europäischen Stadt als Teil der sich entwickelnden Delta Metropolis“, so sieht Planum, The Journal of Urbanism, die rasante Entwicklung von Rotterdam entlang seiner Waterfront. Am nördlichen Maasufer (dem sogenannten Boomples) wurden Bäume gepflanzt, Rasenflächen angelegt und Outdoormöbel aufgestellt. Visavis im Stadtteil Kop van Zuid entstand am ehemaligen Wilhelminapier ein hypermodernes Geschäfts- und Wohnviertel. Kop van Zuid gehörte bis zum Zweiten Weltkrieg, in dem Rotterdam beinahe vollständig zerstört wurde, zum Hafen. Das Viertel verfiel danach, ehe es seit 1993 durch ein ehrgeiziges Stadterneuerungsprogramm komplett neu errichtet wurde. Das Ziel war, 15.000 neue Einwohner anzusiedeln und 18.000 neue Arbeitsplätze mit insgesamt über einer Million Quadratmetern Nutzfläche zu schaffen. Das Programm wurde mit öffentlichen Geldern in Höhe von drei Milliarden Euro subventioniert. Einige der bekanntesten Architekten wie Rem Koolhaas und Renzo Piano erhielten am Wilhelminapier die Möglichkeit, sich mit repräsentativen Gebäuden nach einem Masterplan von Norman Foster zu verewigen. Besonders reizvoll ist die ehemalige Zentrale der Holland-Amerika-Linie, in die das trendige Hotel New York einzog. Es verfügt über einen attraktiven Außenbereich mit direktem Blick auf Maas und Rheinhafen. Über diesen führt ein Fußgängersteig zur Fenix Food Factory am anderen Ufer. Eine ehemalige Lagerhalle bietet jetzt Raum für Restaurants, eine Bäckerei, ein Buchgeschäft und einen Bioladen; junges, internationales und vor allem urbanes Publikum wird dadurch angezogen.

Am Lake Ontario

Das Rotterdamer Architekturstudio West 8 ist für den Masterplan der zentralen Waterfront in Toronto verantwortlich. In den 1990er-Jahren initiierte die Stadtverwaltung ein ehrgeiziges Projekt, das die gesamte städtische Küstenlinie in einem allumfassenden Konzept zusammenfassen sollte. „Der Staat Kanada, die Provinz Ontario und die Stadt Toronto riefen die Toronto Waterfront Revitalization Corporation (heute Waterfront Toronto, Anm.)

ins Leben und statteten die Gesellschaft mit 1,5 Milliarden kanadischen Dollar Grundbudget aus“, erklärt deren ehemaliger CEO John Campbell. Zusätzlich zu den drei Ebenen der öffentlichen Verwaltung finanziert sich Waterfront Toronto durch Landverkäufe selbst, wobei strenge Vorgaben für die Investoren bestehen. So müssen neue Gebäude wie das George Brown College dem Greenbuilding-Standard LEED entsprechen. Bevor Gewerbeimmobilien gebaut werden, richtet Waterfront Toronto ihr Augenmerk auf die Herstellung der öffentlich zugänglichen Einrichtungen. So gestaltete West 8 in Kooperation mit den kanadischen Landschaftsarchitekten DTAH in den vergangenen Jahren den direkt am See liegenden Queens Quai Boulevard radikal um: Die Anzahl der Fahrspuren wurde von vier auf zwei reduziert, stattdessen kamen zwei Fahrradwege und 240 neue Bäume hinzu, und die Gehsteige wurden verbreitert. „Wir achteten darauf, dass der gesamte Bereich optisch zusammenpasst: So gibt es jetzt überall dieselbe Pflasterung mit stilisierten Ahornblättern, identen Straßenleuchten und Sitzmöbeln“, sagt Mira Shenker von Waterfront Toronto. Highlights sind die sogenannten Wavedecks, drei geschwungene, den Wellen des Ontariosees nachempfundene Holzbrücken, die sowohl Kunstobjekt wie Spielplatz sind.

Mit rund einer Million Quadratmetern Fläche (rund viermal die Größe von Monaco) ist die Waterfront Toronto das größte wassernahe Stadterneuerungsprojekt in Nordamerika. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte sollen dort rund 40.000 Apartments (20 Prozent davon Sozialwohnungen) und 40.000 Jobs entstehen.

INFORMATION

Leben am Wasser. Als Waterfront werden in der Stadtplanung die am Ufer von Flüssen, Seen oder Meeresarmen gelegenen Stadtteile bezeichnet, die wegen ihrer nicht mehr benötigten Hafenanlagen, Docks und Industriebauten zu Projekten städtischer Revitalisierung geworden sind. Errichtet werden nicht nur Wohnprojekte. Bürogebäude und Freizeiteinrichtungen wie Parkanlagen, Sportaktivitäten und Dienstleistungen zählen ebenfalls dazu.

Vor rund 50 Jahren wurden in vielen Städten Autobahnen entlang der innerstädtischen Waterfronts angelegt, die heute oft störend für die Attraktivierung von Stadtteilen am Wasser sind. In Wien ist das der Handelskai, in Toronto der Gardiner Expressway.

(Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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