Adieu Küchentisch! Jobherbergen mit Gruppenfeeling

Immer mehr Selbstständige suchen Unterschlupf bei Bürogemeinschaften. Die Auswahl ist mittlerweile groß, die Kosten sind gering.

Es klingt ja ganz charmant, zu Hause zu sitzen mit der Jogginghose, der Lieblingsmusik und der Zigarette im Mund. Doch was sich für viele anfangs als reizvoll herausstellt, kann durchaus zum Super-GAU werden. Dann nämlich, wenn die Work-Life-Balance kippt, die Telefonrechnung explodiert, der Drucker streikt und man einsam – und irgendwie verschroben wird. Ist es soweit, rafft man sich besser wieder auf vom Küchentisch, packt seine Sachen und klopft bei einer Bürogemeinschaft an. Auswahl gibt es mittlerweile genug.


•Die nötige Portion Chaos:
„Wir sind ein halbchaotischer Dschungel – und wir stehen dazu“, sagt Gernot Schatz über seine Bürogemeinschaft „Grüner Hof“ in der Wiener Wehrgasse, einem ehemaligen Tanzstudio mit einem wild verwucherten Innenhof, in dem schon mal eine Party steigt. Schatz: „Einen Rechtsanwalt oder Buchhalter werden Sie bei uns nicht finden. Vor Kurzem hat sich ein Unternehmensberater die Büroräumlichkeiten angeschaut. Sein Urteil: Es war ihm zu kreativ – was auch immer das heißen mag.“ Kein Wunder: Insbesondere Leute aus der Creative Industry, also Architekten, Grafiker, IT-Leute, Werber, PR-Leute und Journalisten räumen ihre Schreibtische in eine Bürogemeinschaft. In diesen Jobs ist die klassische Arbeitsmühle vielfach passé, ebenso die Fixanstellung. Und deshalb gestalten sich diese neuen Selbstständigen den Arbeitsalltag so angenehm und so effizient wie möglich. Einerseits durch anregendes Umfeld in kreativen Nestern wie dem Yurp-Kino, der Schraubenfabrik oder dem Rochuspark. Andrerseits zwischenmenschlich mit Gleichgesinnten. „Vernetzung wird immer wichtiger, speziell bei größeren Aufträgen“, so Martina Gruber, Chefin der Vermittlungsplattform Raumdirekt, „das Gemeinschaftsbüro kommt einem da sehr entgegen.“


•Zuerst die Regeln – dann der Spaß:
Bevor das Gruppenfeeling so richtig losgeht, gibt es rechtlich einiges zu beachten: Man sollte einen Untermietvertrag unterschreiben. Vorsicht: Die Kosten müssen transparent sein, sagt Gruber. Mit dem Mietvertrag unterzeichnet man meistens auch einen bestimmten Kodex, also eine Art Hausordnung, an die man sich halten muss. Die Verträge sind im besten Fall so flexibel angelegt wie bei Schatz: Der Vermieter kann zwischen einer befristeten oder einer unbefristeten Variante wählen. Hat man schließlich genug von der Gruppenatmosphäre, ist das auch kein Thema: Der Ausstieg geht in der Regel sehr schnell. Die Einrichtungen sind flexibel angelegt – mit kurzen Kündigungsfristen, meist nur von einem Monat. Für die Miete an sich muss man im Schnitt 200 bis 300 Euro im Monat berappen.

•WG-Feeling ohne Putzplan:
Ist man fündig geworden, erinnert man sich am besten an die eigene WG-Vergangenheit, die Regeln des Zusammenlebens sind ähnlich. Will heißen: Die Infrastruktur, sprich Kaffeemaschine, Kopierer und Kühlschrank, sind für alle da. Das hat Vorteile – aber auch Nachteile: „Es gibt die üblichen Spannungen, wenn Menschen zusammenkommen“, so Jakob Sommerhuber, der 14 Parteien im 8. Wiener Gemeindebezirk einquartiert hat. Schatz relativiert: „Meistens treffen ohnedies Leute aufeinander, die ähnlich drauf sind. Außerdem fallen Streitpunkte wie ,Wer wäscht ab?‘ von vornherein weg.“ Schatz jedenfalls hat noch nie als Troubleshooter eingreifen müssen. Es gäbe wenig Reibereien, schon alleine deshalb, weil die Mieter wenig organisieren müssen. Schließlich muss man sich nicht um Bürofacilitys wie Fax und Kopierer kümmern und auch nicht den Putzwedel schwingen. Das spart Nerven – und Geld: Die üblichen Investitionskosten für Start-up-Unternehmen fallen überhaupt weg. Außerdem ist immer jemand zum Reden da. „Auch wenn sich manche erst daran gewöhnen müssen, dass andere halt auch sprechen“, so Sommerhuber.


•Mit Service und Prestige:
Wer hingegen mit dem alternativen Touch nicht ganz klarkommt, wird durchaus auch etwas Passendes finden: Es gibt mittlerweile auch kollektive Arbeitsräume, wo statt der Freitag-Tasche auch mal ein Aktenkoffer in der Garderobe hängt. Bei Sommerhuber zum Beispiel sitzen unter anderem Finanzdienstleister am Schreibtisch. Und wer nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern auch etwas zum Repräsentieren braucht, der ist in „servicierten Büros“, etwa von Regus oder Bena, gut aufgehoben.

Internationale Firmen, die viel outsourcen und sehr flexibel agieren müssen, wie zum Beispiel Google und Hewlett Packard, quartieren sich gerne in diesbezügliche Einrichtungen ein. Bena-Geschäftsführer Alexander Varendorff: „Wir haben aber auch Aufsichtsratsvorsitzende mit einem Alter von über 60 Jahren bei uns, für die das Ambiente sehr wichtig ist und die großen Wert auf Sekretariatsarbeit legen.“ Die Büroräumlichkeiten beziehungsweise Meetingräume kann man übrigens auch stundenweise nutzen. Kostenpunkt: Ab 20 Euro aufwärts.

www.raumdirekt.com, www.regus.at
www.schraubenfabrik.at, www.bena.at
www.schatz.prototyp.cc, www.rochuspark.at
www.yurp.at, www.gemeinschaftsbuero.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2009)

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