Mitten in der Flurbereinigung

Stationärer Handel. Die Verkaufsflächen sinken heuer zum vierten Mal in Folge. Experten sehen darin aber keine Krise, sondern eher eine natürliche Entwicklung.

Der Flächenrückgang im heimischen Einzelhandel hält unvermindert an. Wie eine aktuelle Studie von RegioData Research aufzeigt, sinken die Verkaufsflächen in Österreich heuer zum mittlerweile vierten Jahr in Folge – konkret um 200.000 Quadratmeter. In einer ähnlichen Tonart soll es in den kommenden Jahren weitergehen: Die Studienautoren erwarten, dass der stationäre Handel, gemessen am Höchststand von 2013, bis 2020 um acht Prozent an Flächen einbüßen wird. Für Wolfgang Richter, Geschäftsführer RegioData Research, ist die Entwicklung aber kein Drama. „Trotz des Rückgangs verschwindet der Einzelhandel ja nicht völlig“, hält er fest. Andererseits müsse man damit rechnen, dass der Flächenrückgang durchaus noch länger anhalten werde.

Im Spitzenfeld

Die Experten machen dafür mehrere Faktoren verantwortlich. „Man darf nicht vergessen, dass in den vergangenen Jahren große neue Flächen auf den Markt gekommen sind. Gleichzeitig ist die Konsumnachfrage nicht gestiegen“, sagt etwa Jörg F. Bitzer, Head of Retail bei EHL Immobilien. Tatsächlich liegt Österreich punkto Verkaufsflächendichte im europäischen Spitzenfeld. Neben Österreich kommen aktuell nur die Schweiz und Schweden auf einen Wert von 1,7 Quadratmeter pro Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland, Luxemburg und Norwegen sind es 1,5 Quadratmeter pro Einwohner.

Hinzu kommt die Konkurrenz des boomenden Onlinehandels. Auch in dieser Hinsicht gehört Österreich zu den Topnationen in Europa – nur in Großbritannien, der Schweiz und Norwegen sind die Umsätze höher. Viel Potenzial sieht Richter vor allem im heimischen Lebensmittelhandel, wo der Onlineanteil derzeit bei elf Prozent liegt. „Wenn der Onlineanteil im Lebensmittelhandel weiter steigt, werden viele Verkaufsflächen frei“, sagt der Experte. Einen weiteren Grund für den Verkaufsflächenrückgang sieht Richter in der Diskrepanz zwischen den Renditeerwartungen der Shoppingcenterbetreiber beziehungsweise den Vermietern in den Geschäftsstraßen auf der einen und dem hohen Konkurrenzdruck bei zurückgehenden Quadratmeterumsätzen auf der anderen Seite. Die ertragreiche Bewirtschaftung großer Flächen wird damit immer schwieriger – vor allem in Branchen wie dem Buch-, Elektro- und Spielwarenhandel, in denen wesentliche Umsatzteile ins Internet abgewandert sind. „In gut gemanagten Einkaufszentren kommt man Mietern, die mit Umsatzrückgängen kämpfen, punkto Mietpreisen daher oft entgegen“, erläutert Hannes Lindner, geschäftsführender Gesellschafter Standort + Markt, eine Gegenstrategie. Wenig Flexibilität in dieser Hinsicht sieht er hingegen in den Topgeschäftsstraßen, wo der Gedanke kurzfristiger Ertragsmaximierung überwiege.

Keine Patentrezepte

Ein Patentrezept, um den Flächenschwund aufzuhalten, sehen Experten nicht. „Man muss von Fall zu Fall anders vorgehen“, meint etwa Bitzer. Erfolgreiche Strategien sieht er in der stärkeren Kundenbindung, wie sie von vielen Einzelhändlern mittlerweile praktiziert wird. „Shoppingcenter wie SCS, PlusCity in Pashing oder Europark in Salzburg wiederum haben mit der Erhöhung des Gastronomieanteils und Veranstaltungen erfolgreich Maßnahmen gesetzt, um die Verweildauer zu erhöhen. „Hier stimmen die Kundenfrequenz und der Flächenumsatz der Mieter.“

„Einzelhändler müssen sich heute fragen, wozu sie ihre Geschäftsflächen überhaupt benötigen – der bisherige Zweck, die Ware zu präsentieren, reicht nicht mehr aus“, meint auch Richter. Wichtig sei zudem, dass die Handelszone vor Ort zum Geschäft passe. „Ein Bekleidungshändler in einer Nahversorgungszone sollte sich über einen Umzug Gedanken machen.“ Weniger betroffen vom Flächenrückgang sind hingegen überregionale Shoppingcenter, die ähnlich wie die großen Geschäftsstraßen in der Regel keine wirklichen Probleme haben, für ausziehende Einzelhändler Nachmieter zu finden. „In vielen großen Geschäftsstraßen ist die Kundenfrequenz heute sogar höher als früher“, betont Lindner. In Wien profitieren Toplagen zudem vom boomenden Tourismus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2017)

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