Gentrifizierung: Alles Kunst, oder was?

Gentrifizierung Alles Kunst oder
Gentrifizierung Alles Kunst oder(c) Dei Presse (Michaela Bruckberger)
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Das Ottakringer Brunnenviertel wandelt sich – langsamer als gedacht. Und rückt doch immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit von Künstlern, Investoren und Stadtplanern.

Lokalkolorit auf dem Brunnenmarkt: „Ein Euro, alles ein Euro“-Rufe, Menschengewühl, Baulärm. Ein Mann in Weiß mit riesiger Styroporkugel auf dem Kopf biegt um die Ecke. Eine Frau im Pelz mit goldenen Turnschuhen will das Fleisch an der Theke „auch gerne optisch sehen“. Fantasievoll Uniformierte ziehen ihre Kreise. Eine Bettlerin hält ihre Hand auf. Alles Künstler? Weiß man es? Irgendjemand macht hier immer irgendetwas zu seinem Projekt. Noch dazu im Mai, wenn es Zeit ist für „Soho in Ottakring“.

Gentrifizierung & Kunst

Das Kunstfestival wurde 1999 ins Leben gerufen. Seit damals hat sich das Brunnenviertel mit seinen rund 7000Bewohnern – davon rund 36.6% Migranten – und (laut Wiener Einkaufsstraßen) 59.000 Marktbesuchern wöchentlich zusehends verändert. Der gesamte Brunnenmarkt wird zur Fußgängerzone umgebaut. Rund 140 neue Wohnungen wurden im Bereich der Grundsteingasse errichtet – sowohl im neuen Dichterhof (ehemals Kaufhaus „Osei“, nun nach den ehemaligen Besitzern, der 1938 enteigneten jüdischen Familie Dicher, benannt), als auch im Neubau gegenüber (ehemals „Zur Brez'n“). Auch das denkmalgeschützte Biedermeierhaus „Zum goldenen Kegel“, mit kürzlich noch verwilderter Hinterhofgstätten, wird fachgerecht restauriert – und der Garten ist einer jungfamilienfreundlichen Wohnanlage gewichen.

Inwieweit hat das mit Kunst zu tun? Etwa mit Steven Mathewson, der gegenüber in einer Ateliergemeinschaft werkt? Oder Nora Lang vom Ragnarhof?

2008 untersuchte ein Team aus Stadt- und Landschaftsplanern der TU und der Boku, der PlanSinn GmbH, der MA50 (Wohnbauforschung) und MA18 (Stadtforschung), die Wechselwirkung von Kunst und Stadtentwicklung anhand von vier Fallbeispielen, darunter auch „Soho in Ottakring“. Es zeigte sich, dass die Gegend ab 2002 zunehmend als „Kulturmeile“ statt „Problemviertel“ in den Medien auftaucht und eine eindeutige Aufwertung von Bausubstanz und Infrastruktur begann – quasi der Beginn der klassischen Gentrification („Kunst macht Stadt“, siehe Info-Kasten).

Auch die WU-Studenten Andreas Novak, Manuel Schuler und Martin Stark wollten das genauer wissen – und fragten nach. „Wir wollten herausfinden, wie diese Gentrification-Debatte von den Kreativen selbst, die ja auch als Motoren der Aufwertung bezeichnet werden, gesehen wird, und ob Gentrification im Brunnenviertel überhaupt quantitativ empirisch belegbar ist“, so Andreas Novak. In der noch unveröffentlichten Studie „Gentrification im Brunnenviertel– die Perspektive der Kreativen“ werden die Meinungen und Erfahrungen der Künstler verarbeitet und mit quantitativen Daten verglichen.

Ihr Conclusio: Das Image wandelt sich schneller als die Struktur– von der angekündigten Yuppisierung des Grätzels ist rein zahlenmäßig wenig zu merken. Zwar stieg die Akademikerquote von 6,25% (1991) auf 9,6% (2001) deutlich an, der Anteil der Bewohner mit Matura ist aber mit 13,17% (1991) und 13,49% (2001) fast stagnierend. In ganz Wien stieg er im gleichen Zeitraum auf 27,75% (2001). Noch kann von Bevölkerungswandel keine Rede sein – allerdings könnte diese mit Zeitverzögerung eintreten: Im Jahr 2001 waren 60% der Bewohner von Kategorie-D-Wohnungen Menschen mit Migrationshintergrund.

Novak: „Wenn eine große Zahl dieser Wohnungen saniert wird, sind Menschen mit Migrationshintergrund überproportional stark von Mietpreissteigerungen betroffen.“ Und dafür werden nicht nur fremde Investoren verantwortlich sein. Auch zu Geld gekommenen Migranten haben natürlich Interesse, ihren Besitz zu sanieren und aufzuwerten.

Rollenspiele

Ihre eigene Rolle als „Pioniere“ der Gentrifizierung sehen die befragten Kreativen zwiespältig. Einerseits registrieren sie mehr Besucher und verbesserte Infrastruktur, andererseits werden Mieterhöhungen bemerkt und eine Veränderung des typischen Flairs befürchtet. Potenzial wäre reichlich vorhanden: Rund um den Yppenplatz – die alte Piazza mit neuen Lokalen, die an lauen Abenden rund 200 Leuten das gute Gefühl gibt, bei Bier, Aperol-Spritzer oder Club Mate zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein – sind Dachgeschoßausbauten noch kaum vorhanden. Noch da ist allerdings der Satz „Wir wurden in die Welt gevögelt und können doch nicht fliegen“ auf dem Haus gleich neben dem Café International. Eine schöne Kontemplationsaufgabe, darüber nachzudenken – und dabei selbst ein Teil des Lokalkolorits zu werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2010)

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