Wilde Wände: Gärten im 90-Grad-Winkel

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Der Botaniker Patrick Blanc pflanzt Gärten im 90-Grad-Winkel: Seine grünen Wände wachsen in Museen und Shoppingcentern. Und seit Kurzem auch in Wien.

Zähe Nebelwolken, nackte Felsen, peitschender Wind und dunkle Schluchten. Pflanzen müssen nicht im südlichen Feuerland wachsen, um all das zu haben. Auch im grauweißen, matschigen Dezember, mitten im Zentrum Wiens, sind die Bedingungen hart. Vor allem im Hinterhof, da hilft es auch nichts, wenn er auf der Rückseite eines schicken Designeinkaufszentrums liegt. Im „Stilwerk“ am Donaukanal bestaunen die Besucher nicht nur Möbel, sondern auch ein besonderes Objekt in der rückwärtigen Riesenauslage. Keine nackte Feuerwand reflektiert dort das Scheinwerferlicht, sondern ein flauschiger Grünteppich. Eine Wand, die lebt, wächst und dann und wann Wasser will: Im rauen Designhinterhof sprießt ein vertikaler Garten, das Werk des französischen Botanikers Patrick Blanc, der rund um die Welt Grünlandschaften um 90 Grad dreht. 

Den Pflanzen ist’s egal, ob sie der patagonische Wind zerzaust oder ein Sturm im Wiener Becken. Doch das Modell „Grüne Wand“ war in Wien noch kaum bekannt, der Name Blanc noch weniger. Im Gegensatz zu Jean Nouvel, der Blanc nicht zum ersten Mal anrief, als er den neuen Turm am Wiener Donaukanal plante. Schon für das Museum Quai Branly in Paris ließ er ihn eine Fassade begrünen, und auch auf einem aktuellen Projekt, einem Hochhaus in Sydney, zeichnen sich auf den Computer-Renderings bereits reichlich Pflanzen ab, von Blanc sorgsam ausgewählt. Auch die Nummer des renommierten Architekturbüros Herzog de Meuron erscheint oft auf seinem Handydisplay. Für sie pflanzte er einen 600 Quadratmeter großen Garten auf eine Mauer: für das „Caixa Forum“, gleich gegenüber dem Prado in Madrid. Und auch ein weiteres Werk der Schweizer, das Miami Art Museum, ziert eine grüne Wand. 

Shoppingcenter, Brücken, Cafés, Hotellobbys, Wohnzimmer – der vertikale Garten gedeiht privat und öffentlich. Drinnen und draußen. Dabei mag Blanc selbst gar keine Gärten, auch keine Parks, wie er sagt. Zumindest nicht die horizontalen, fein gestutzten, geordneten und gepflegten. Lieber hat er die, die aus der Vertikale sprießen. Dafür brauchen Pflanzen recht wenig: Wasser, Licht, ein paar Nährstoffe vielleicht, manche Spezies benötigen sogar davon nicht allzu viel. Das erkannte Blanc lange, bevor ihn die ersten Architekten „Guru“ nannten, vor allem im Zusammenhang mit – technisch formuliert – dem Terminus „Bauwerksbegrünung“.

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Klimaaufgaben. Zumindest auf die Bezeichnung
„Pionier“ können sich die Architekten einigen, wenn sie von Patrick Blanc sprechen: Das Prinzip des vertikalen Gartens hat er zwar nicht erfunden, die Natur war Millionen Jahre früher dran. Aber er hat es als Erster von den natürlichen Wüsten, Felsen, Canyons in die künstlichen, in die Städte verpflanzt. Dazu lässt er ein spezielles Filz-vlies auf ein Metallgerüst spannen. „Es ist ein bisschen wie das Prinzip eines Wischmobs. Der absorbiert auch Wasser, nimmt Partikel auf und behält sie“, erklärt Blanc. In kleinen Schlitzen und Löchern sitzen die Pflanzen, Rohre bringen Wasser, das über die Wand langsam nach unten fließt. Die Pflanzenarten wählt Blanc je nach Standort, Klima und Aufgabe aus, platziert und verteilt sie zunächst auf den Skizzen, die er fast wie eine Landkarte zeichnet. Und anschließend auf den gewünschten Bauwerkteilen.

An den Mauern und Wänden verbindet Blanc Extreme und Welten, vor allem seine zwei Lieblingsorte. Die Stadt einerseits: „Ich war schon immer ein urbaner Mensch“, erzählt Blanc. Und den Wald andererseits, vor allem den tropischen. „Je ursprünglicher, desto besser.“ Noch heute durchstreift er ihn, vor allem in Asien, wie zu Studentenzeiten. Doch zu sehr sollten die Extreme, Natur und Stadt, nicht miteinander verwachsen. „Eine Stadt ist eine Stadt. Und soll es auch bleiben.“ Grün überwucherte Siedlungen à la Avatar bleiben Szenarien aus Film und Fantasie. Lange haben die Architekten die vertikalen Gestaltungsmöglichkeiten mit Pflanzen ignoriert. Jetzt stürzen sie sich umso mehr darauf. Und übertreiben dabei auch gern, wie Blanc meint: „Heute würden viele am liebsten gleich alles begrünen.“ Deshalb muss auch er die Dimension mancher Projekte zurechtstutzen. „Wir müssen uns den Respekt vor der Architektur, vor der gebauten Struktur, ebenso bewahren“, sagt Blanc. Das Stadtklima hingegen kann nicht genug Grün bekommen. Auf der Konferenz „Zero Emission Cities“, Anfang Dezember in Wien, durfte Blanc – als „Stargast“ angekündigt – im bunten Hemd seine grünen Projekte zeigen. Und auch, dass die wachsenden Wände viel mehr leisten als bloß zu zieren und dekorieren. Pflanzen sind Filter, die Lärm, Schadstoffe und CO2 schlucken. Und dafür Kühle und Sauerstoff spenden. Das Weltklima profitiert, noch mehr  das Mikroklima, in engen Häuserschluchten etwa, in denen sich Hitze und Schadstoffe stauen. „Doch es gibt immer noch zu wenige Studien, die diese Effekte messen“, bedauert Blanc. 

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Aus dem Wasser an die Wand. Die erste Fassade, die Blanc begrünte, war aus Glas. Dahinter waren 80 Liter Wasser und jede Menge Zierfische. Der Teenager Patrick Blanc stand davor und staunte. Vor allem, als er die Wurzeln von Philodendren ins Aquarium getauchte hatte. Und es wirkte. „Ich wollte gesunde Fische haben und das Wasser filtern“, erzählt Blanc. Noch mehr verblüffte ihn, dass die Pflanzen ganz ohne Erde wuchsen. So wurde auch der Gitterrost höher, an dem sich die Pflanzen klammerten. Auf Reisen in Thailand entdeckte Blanc, wie geschickt die Vegetation die Felsen hochklettert. Zurück in Frankreich, experimentierte er und studierte weiter. Bis schließlich 1994 sein erster „Mur végétal“ öffentlich beachtet wurde, beim „Festival des Jardins“ in Paris.  Heute staunen die Menschen auf der ganzen Welt über die Kletterkünste der Natur. In Feuerland oder Thailand genauso wie in den Hinterhöfen Wiens.

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