Die Angst der Architekten vor der Farbe

(c) FABRY Clemens
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Sie tragen Schwarz und bauen in Grau: Architekten scheinen sich vor bunten Häusern in der Stadt zu scheuen. Buchstäblich Farbe bekennen – das trauen sich die wenigsten.

Chromophobie“ ist epidemisch. Vor allem Architekten leiden darunter, das beschrieb der Künstler David Batchelor in seinem gleichnamigen Buch. Zahlreiche Beispiele bringt der Autor, um zu belegen, wie die Farbe allmählich in den vergangenen Jahrhunderten neben Kunst, Kultur, Design und Mode auch in der Architektur verblasste. Nichtfarben wie Schwarz, Grau oder Weiß würden heute überwiegen, also jene Farben, die etwa auch in der durchschnittlichen mitteleuropäischen Stadtarchitektur am häufigsten anzutreffen sind. Farbige Entwürfe wie etwa jene des internationalen Architekturbüros Sauerbruch Hutton mit Sitz in Berlin seien eine seltene Ausnahme im üblichen Grau der Städte geworden.

Der deutsche Architekt Matthias Sauerbruch kann sich vorstellen, warum: „Farbentscheidungen im Stadtraum betreffen sehr viel mehr Menschen als in einem Interieur. Das heißt, dass die Entscheidungen auf diesem Maßstab mit noch mehr Vorsicht und Intelligenz getroffen werden müssen als sonst.“ Für Sauerbruchs Büro ist Farbe in der architektonischen Gestaltung ein zentrales Thema. Für das von Sauerbruch Hutton gestaltete Brandhorst-Museum in München etwa wurde die Fassade mit 23 verschiedenen Farben aus drei Farbfamilien gestaltet. „Es ist essenziell, die Farbe als ein architektonisches Element ernst zu nehmen“, meint Sauerbruch. Man müsse proaktiv und bewusst mit ihr umgehen und „sie im Sinne eines Stadtraums einsetzen, in dem man sich nicht nur gerne aufhält, sondern der den Benutzer auch inspiriert und begeistert“. Doch wahllose Buntheit könne wiederum zur „optischen Umweltverschmutzung werden“, weshalb eben häufig zu Weiß, Grau oder Schwarz gegriffen wird.

Bunt ist provinziell.

In der Wiener Stadtarchitektur waren die vorherrschenden Farben der Fassaden tatsächlich über viele Epochen hinweg an natürlichen Kalkfarben orientiert – und sind es bis heute. „Man hat versucht, die Farben von Naturstein zu imitieren, und das sind eben Weiß- und Grautöne. Bunt war in Wien nie nobel, sondern eher provinziell“, erzählt Friedmund Hueber, Architekt und Professor für Bauforschung, Kunstgeschichte und Denkmalpflege an der TU Wien. Nach dem Krieg habe es sogar „Färbelungspläne gegeben, die genau vorschrieben, welche Farben in der architektonischen Gestaltung erlaubt sind“. Bunt habe aber der Noblesse wiedersprochen, so Hueber. Es galt: Für je urbaner und eleganter sich die Hausbewohner hielten, desto blasser die Fassadenfarbe.

Zu Kaiserzeiten wurde nur auf Verordnung hin in den Farbtopf gegriffen. Etwa als Kaiser Joseph II. im 18. Jahrhundert alle Bauwerke des Staates Österreich und des Habsburgerhauses in einem Ockerton, dem sogenannten „Schönbrunner Gelb“, bemalen ließ. „Dieser Farbton diente allerdings vor allem den wirtschaftlichen Impulsen“, so Hueber. Schließlich verfügten die Habsburger über Ockergruben in Böhmen, die mit der Farbherstellung ihre Auftragsbücher füllten. „Wo das ,Schönbrunner Gelb‘ nicht vorgeschrieben war, deklarierte man sich klar für den Kaiser, wenn man die Fassaden in Ocker strich.“

Bis in die Nachkriegszeit galt in Wien neben dem monarchischen Gelbton tiefes Grau als Modefarbe, das erst in den 1950er-Jahren durch Pastelltöne – mitunter gab es auch mehrere Farben an einem Haus – abgelöst wurde. Spuren davon sind noch heute zu sehen, wenn plötzlich inmitten grauer gründerzeitlicher Blocks eine blassrosa Fassade heraussticht.

Altbau dezent, Neubau knallig.

Dass Fassaden ihren historischen Anstrich auch behalten, dafür sorgt in Wien die MA 19 für Architektur und Stadtgestaltung. „Die Farbgestaltung der Wiener Häuser orientiert sich an der Bauordnung aus dem Jahr 1925. Farbe muss demnach, wenn sie in den öffentlichen Raum hinauswirkt, so beschaffen sein, dass sie die Einheitlichkeit des Stadtbildes nicht stört“, erklärt Robert Kniefacz, Dezernatsleiter für architektonische Begutachtung der MA 19. „In einem gewachsenen Ensemble in der Innenstadt wäre etwa ein leuchtgrünes Haus eine Katastrophe“, meint er. Mit seinem Team aus Architekten und einer Kunsthistorikerin begutachtet er einzelne Projekte dahingehend, ob sie das Stadtbild beeinträchtigen. „Bei Neubauten sind Architekten und Bauherren sehr frei in der Farbwahl, es gibt eigentlich keine No-go-Farben. Wenn jemand Neon-Magenta verwendet, ist es schwer, ein Argument dagegen zu bringen. Nur im Stadtensemble darf es nicht brutal herausstechen. Bei historischen Bauten wie Gründerzeithäusern gelten andere Maßstäbe“, so Kniefacz.

Etwa vier- bis fünfmal im Jahr langen Beschwerden ein. „Das Besondere am Thema Farbgestaltung ist, dass sich jeder kompetent fühlt.“ Jeder habe ganz individuelle Farben, die er liebt oder auch ablehnt. Sobald ein Haus blau oder orange gestrichen ist, läuten die Telefone in der MA 19. „Solltedie Begutachtung zeigen, dass die Farbe unzulässig ist, muss umgestrichen werden. Aber das ist die Ausnahme.“


Bitte, bunt! Auch für das Grazer Designteam Splitterwerk gibt es zu wenig Farbe in der Stadt. Deshalb stechen bunte Häuser auch besonders heraus. „Farbe ist selten. Und hat deshalb eine besondere Präsenz“, meint Josef Roschitz von Splitterwerk. Er selbst scheut sich nicht, in gleich mehrere Farbtöpfe zu greifen. „Der Grund, warum es andere Architekten nicht tun, könnte sein, dass Farbe in der Stadt nicht modern ist.“ In seinen Entwürfen hat Farbe dennoch einen besonderen Stellenwert, wie etwa bei dem Projekt „Froschkönig“, einem Gebäude für die Landesverwaltungsakademie des Landes Steiermark. Das umgestaltete ehemalige Internatsgebäude erhielt ein buntes Erscheinungsbild durch mehr als dreißig Farben, die für Fassadenflächen, Fensterrahmen und andere Bauelemente verwendet wurden. „Farbe kann man nicht isoliert sehen, sondern immer im Kontext mit dem, was man tut. Auch Schwarz und Weiß sind Ausdrucksmittel. Ein bisschen mehr Mut wäre aber nicht schlecht“, sagt Roschitz.

Die Wiener Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer meint, dass die Wiener mit dem Mangel an Farbe, ganz gut zurechtkämen. „Das ,graue‘ Wien steht stark im Zusammenhang mit der jeweiligen Jahreszeit.“ Die Fassadenfarben hätten keinen signifikanten Einfluss auf die Befindlichkeit der Stadtbevölkerung. „Eher das Sonnenlicht in Kombination mit dem Grün der Natur“, sagt Ehmayer. Bunte Häuser wie etwa das Hundertwasserhaus oder der freistehende „Froschkönig“ von Splitterwerk würden nur dann als schön empfunden, wenn sie die Ausnahmen blieben – eine ganze Stadt in ähnlichem Stil würde die Bewohner visuell auch überfordern. Denn eine große Rolle bei der Farbwahrnehmung spiele auch die Gewohnheit.

Fehlende Farbkonzepte.

„Farbgestaltung ist etwas Kulturspezifisches. Im Süden werden beispielsweise knalligere Farben verwendet und auf die Umgebung Bezug genommen“, erklärt Ehmayer. Wie etwa das in Griechenland gern verwendete Blau. „Als Touristen gefällt uns das, aber es würde uns seltsam anmuten, wenn auch unsere Gründerzeithäuser in diesem Blau gestrichen wären.“

Karl Albert Fischer, Gründer des Instituts für Licht und Farbe, erklärt das damit, dass sogenannte „Gegenfarben“ (Blau/Gelb, Rot/Grün und Schwarz/Weiß) Dissonanzen und Spannungen erzeugen können: „Gegenfarben sollte man durch die richtige Farbwahl möglichst vermeiden“, sagt Fischer, der permanentes Grau in der Architektur ablehnt.

Für den Farbexperten fehlt es grundsätzlich an Farbkonzepten, wie es sie etwa im Norditalien des 19. Jahrhunderts gab. Diese legten damals fest, welche Häuser drei-, zwei- oder einfärbig sein durften und welche Farbgruppen man für sie wählen konnte. „Architekten scheuen sich vor Farben, weil sie ihre Wirkung erahnen, aber in der Ausbildung Farbe nicht gelehrt wird. Es geht ja nicht darum, dass ein Künstler sein Werk aufmalt. Die Farbe muss vom Bauwerk ausgehen, das heißt von der Funktionalität und vom Ensemble“, sagt Fischer. Man müsse der Fassade das geben, was sie aus architektonischen und ästhetischen Gründen fordert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2011)

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