Die zwei Gesichter eines Hauses

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Häuser mit Gegensätzen: Zur Straße zeigen sie eine abweisende Fassade. Nach hinten aber öffnen sie sich weit. Bauten, die Privatheit mit Durchlässigkeit verbinden.

Großzügig angelegte, lichtdurchflutete Räume, fließende Übergänge von innen nach außen und nicht zuletzt traumhafte Ausblicke – all das eröffnet sich oft an Gebäuderückseiten. Im Gegensatz dazu sind die dazugehörigen Hausfassaden oft nahezu hermetisch geschlossen, schlicht gehalten oder unscheinbar. In dicht besiedelten Gebieten werden solche Lösungen oft von den Bewohnern aus Gründen der Privatsphäre ausdrücklich gewünscht. In vielen Fällen besteht aber auch das Bedürfnis, den alten Charakter eines Gebäudes in der Außenfassade erhalten zu wollen, während moderne Einflüsse im Inneren oder in der Öffnung des Hauses zur Rückseite umgesetzt werden.

Stefan Beer vom Architekturbüro Jungerbeer hat oft erlebt, dass der Anspruch auf Intimität unterschätzt wird. „Heute sieht man viele neuere Bauten mit französischen Fenstern. Bei dichter innerstädtischer Bebauung besteht sowohl im Erdgeschoß als auch in den oberen Etagen das Problem, dass man von außen bis in den letzten Winkel hineinschauen kann“, so Beer. Vorhänge oder andere Schutzmaßnahmen könnten in solchen Fällen ein positives Wohngefühl nur bedingt herstellen.

Intimität hat auch bei einem in Baden bei Wien realisierten Projekt von Jungerbeer eine Rolle gespielt, auch wenn das laut Architekten keineswegs eine Vorgabe war. Konkret hat das Team eine typische Gründerzeitvilla saniert, teilweise entkernt und neu adaptiert. Über den auf eine Garage gesetzten Zubau wurden die Wohnräume der im ersten Stock des Hauses gelegenen Wohnung des Bauherren und Hausbesitzers großzügig erweitert. Geschaffen wurde ein neuer Ess- und Kochbereich, der fließend in den im Zubau befindlichen Wohnbereich übergeht. Von hier aus kann dank des – die gesamte Gartenfront umfassenden – Schiebeportals der herrliche Blick auf Weinberge genossen und die vorgelagerte Terrasse begangen werden.

Sehen, wann gebaut wurde

„Wir haben nutzungs- und blickbedingt eine klare Orientierung Richtung Garten umgesetzt“, so Beer. Gleichzeitig wurde auch auf die örtlichen Gegebenheiten – die Tatsache, dass sich die Gründerzeitvilla in einer Schutzzone befindet – Rücksicht genommen. Straßenseitig wurde die fast vollständig geschlossene Fassade etwa in einem gelb-goldenen Farbton gehalten – laut Beer eine Neuinterpretation des für Baden typischen Gelbtons. Über ein Oberlichtband aber strömt auch von dieser Seite Licht in den neuen Wohnbereich. „Farblich und oberflächenmäßig haben wir versucht, die Themen der Umgebung aufzugreifen und zeitgemäß umzusetzen. Wir wollen, dass man es auch sehen kann, wenn man 2012 baut“, so der Architekt.

Laut Beer war bei der Errichtung von Gründerzeitbauten, wie dem betreffenden Objekt in Baden, die Himmelsausrichtung noch kein Thema. „Im Gegenteil. Die repräsentative Fassade war meist zur Straße ausgerichtet, unabhängig davon, ob diese Orientierung auch ideal zum Wohnen ist“, meint er. „Gerade bei Einfamilienhäusern schaut man heute, dass die Himmelsrichtung für die Räume passt und man etwa – außer es geht nicht anders oder wird ausdrücklich verlangt – große Glasfassaden nicht auf der Nord-, sondern der Südwestseite umsetzt“, sagt die Architektin Marianne Durig. So gelte es, Räume, in denen man sich häufig aufhält, nach Süden oder Westen anzuordnen und jene, in denen man schläft, nach Norden oder Osten. Die Himmelsrichtung sollte man wiederum mit der Aussicht, die das Grundstück bietet, kombinieren. Bei einem Objekt im Burgenland hat sie gemeinsam mit Gerald Prenner etwa die nach Süden gerichtete Front vollkommen offen gestaltet, sie ist ganz in Glas gehalten. Die Fassade zur Straße hin sei dagegen „total verschlossen“.

Auch bei dem in Bad Vöslau gelegenen und vom Architekturbüro t-hoch-n/Binder, Wiesinger, Pichler sanierten und erweiterten Winzerhof verbirgt sich hinter einer schlichten Außenfassade Erstaunliches. Über das große Eingangstor kommt man in den Innenhof des etwa hundert Jahre alten Hauses, der durch den Zubau begrenzt wird. Der neu gebaute sonnendurchflutete Verbindungsteil mündet auf der linken Seite in ein Büro und auf der rechten in eine Wohnküche, die wiederum über den Eingangsbereich zugänglich ist. Die Terrasse und der neue Wohnraum werden durch eine großzügig verglaste Fläche getrennt. Wie Gerhard Binder erklärt, hat das Wohnzimmer die Funktion, den Hof in einen dem Eingang zugeordneten Bereich und einen Freiraum, der sich Richtung Südseite orientiert, zu teilen.

Leicht war das Unterfangen allerdings nicht, so Binder. „Das Gebäude war in einem stark renovierungsbedürftigen Zustand“, sagt er. Der Winzerhof sei nichtsdestotrotz von den Bauherren bewusst ausgesucht und günstig erworben worden – nicht zuletzt wegen der Stallungen, die nun den eigenen Pferden ein Zuhause bieten. „Von außen unterscheidet sich das Haus nicht wirklich von anderen in der Gegend“, so Binder. Insgesamt sei es darum gegangen, einen stilsicheren Mix aus Alt und Neu zu schaffen.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER

www.jungerbeer.ar, www.t-hoch-n.com,

www.mariannedurig.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2012)

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