Bauen in der blauen Phase

(c) Erwin Wodicka (Erwin Wodicka)
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„Green Buildings“ sind nicht die letzte Weisheit, wenn es um nachhaltiges Bauen geht. Neue wie sanierte Häuser sollen heute „blau“, also ganzheitlich konzipiert und ethisch durchdrungen sein.

Man stelle sich vor, alle Gebäude Österreichs würden gemeinsam im Klassenzimmer sitzen. Dann wären „Green Buildings“ die Musterschüler in Sachen Energieeffizienz, doch „Blue Buildings“ würden den Schulsprecher stellen, den Lehrplan verfassen, für eine gesunde Jause sorgen und die Klassenfahrt organisieren. Denn „blau“ bedeutet mehr als einen guten Energieausweis, es bedeutet, dass der Mensch und dessen unterschiedliche Bedürfnisse ausdrücklich in den baulichen Mittelpunkt rücken.

So ein Ansatz erlegt den Architekten quasi moralisches Handeln auf. Philipp Kaufmann, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI), verweist auf die engen Zusammenhänge zwischen baulichem Umfeld und persönlichem Wohlergehen: Es gäbe erste Studien der Ärztekammer Oberösterreich, die darauf hindeuten, dass 20 Prozent aller Krankheitsfälle von Immobilien verursacht würden. Und wenn auch nur ein Funken Wahrheit in dieser Aussage steckt, dann eröffnet deren Umkehrschluss weitreichende wirtschaftliche Konsequenzen. Denn dann müsste man sich fragen, wie viele Krankenstandstage durch gesunden, ganzheitlichen Wohnbau samt verbesserter Lebensqualität eingespart werden könnten. Und um wie viel besser es Menschen in „gesunden“ Wohnverhältnissen ginge. Gesund, weil eben nicht nur die Energiebilanz positiv ausfällt, sondern weil auch an viele andere Faktoren gedacht wurde: visuellen Komfort, Reinigungsfreundlichkeit, leichte Adaptierbarkeit der Raumstrukturen. Oder auch an veränderte Bedürfnisse des Nutzers, minimalisierte Lärmbelästigung, die Anbindung ans öffentliche Verkehrsnetz, funktionierende Infrastrukturen, harmonische Integration in die Umgebung oder eine einfache Rückbaubarkeit gedacht wurde.

Sparpotenzial bei Lebenszykluskosten

Gerade beim konventionellen Hausbau werde immer noch zu oft am falschen Platz gespart. „Man muss weg von eindimensionalen Lösungen und hin zu mehrdimensionalen, ganzheitlichen“, sagt Kaufmann.

Konkret sind damit die Investitionskosten gemeint, die beim „herkömmlichen“ Bauen zwar etwas geringer ausfallen, dafür aber auf lange Sicht mit höheren Kosten verbunden sind. Die Bewirtschaftung und die Betriebskosten von zukunftsfähigen „Blue Buildings“ fallen im Regelfall günstiger aus als bei kurzlebigen „normalen“ Gebäuden. Was sich auch auf die Mieteinnahmen niederschlägt. „Eine solide Holzbauweise verursacht oft nur Mehrkosten von drei bis fünf Prozent“, meint Bertram Merle, Stadtbaudirektor von Graz. Dafür kann letztlich an den Lebenszykluskosten gespart werden. Darunter fallen einige finanziell schmerzhafte Punkte, an die man zum Zeitpunkt der Baudurchführung leider meist zu wenig denkt.

Kostenfallen und kein Luftaustausch

Baumeister Alexander Pongratz, Geschäftsführer der Pongratz Bau und Landesinnungsmeister, kann ein Lied von unüberlegt errichteten Objekten singen. „Nach 15 bis 20 Jahren verändern sich die Technologien. Dann muss adaptiert und nachgebessert werden“, meint er. „Das kann bei konventionellen Gebäuden schnell zum Problemfall werden.“ Günstiger baut letztlich, wer also schon bei der Planung allfällige Abbruch- und Entsorgungskosten miteinbezieht. Sonst kommen einen zahlreiche Baustoffe in einigen Jahrzehnten teuer zu stehen. Beträchtliche Kostenfallen sieht Pongratz auch bei Häusern, die – meist unbeabsichtigt – zu Tode gedämmt werden. „Dann gibt es keinen Luftaustausch mehr, aufgrund des hohen Eigengewichts kann sogar die Fassade aus dem Gleichgewicht geraten“, mahnt der Baumeister. Und was tut man mit den Platten, wenn diese nicht mehr zwecktauglich sind? Wer billig baut, baut manchmal halt doch teuer.

Der Paradigmenwechsel in Richtung ganzheitliche Nachhaltigkeit scheint sich vielerorts zu vollziehen. Oft wurde aus bestehendem „Grün“ ein zertifiziertes „Blau“, doch manchmal bringt es sogar ein alter Sozialbau in die Liga der mehrfach ausgezeichneten Vorzeigeobjekte. So etwa die Zwischenkriegswohnbauten am Grazer Dieselweg, die heute nach einer umfassenden Sanierung durch die GIWOG und den Entwurf von „hohensinn architektur“ nicht nur als echtes Passivhaus dastehen, sondern auch komplett neu gestaltete Außenanlagen erhielten. Dabei wurden die Verkehrswege umgestaltet und zoniert, aber auch Grünhöfe mit Gartenlauben, Spielplätzen und Pergolen errichtet.

Ein ähnlich gutes Wohnwohlbefinden und eine dementsprechende Spitzenbilanz verspricht das Projekt Reininghaus Süd in Graz. Hier arbeitet Aktiv Klimahaus an einer Innovation. Durch eine Kombination aus erneuerbaren Energieträgern, Passivhaustechnologie, E-Mobilität und Holz-Lehm-Bauweise soll im Rahmen des Leitprojekts zur energieoptimierten Stadtentwicklung „ECR Energy City Graz-Reininghaus“ die angeblich modernste Wohnanlage Österreichs entstehen.

Klimaschutz und Supermarkt

Aber nicht nur beim Wohnbau gilt „Blau“ als Farbe der Saison. Auch bei Büro- und Handelsimmobilien ist eine diesbezügliche Neuorientierung hin zu energieoptimierten, angestellten- und kundenfreundlichen Komplexen zu bemerken. So betreibt die Supermarktkette Spar einige von der ÖGNI in Gold zertifizierte Klimaschutzsupermärkte mit teilweise begrüntem Dach. Die gleichfalls offiziell ausgezeichnete Billa-Filiale in Perchtoldsdorf setzt zur besseren Kundenmobilität auf eine Grünstrom-E-Tankstelle für E-Autos und E-Fahrräder. Bewegte Zeiten, mit denen vor allem die Baubranche verstärkt rechnen muss.

Blue Info

Diskussion. Dem „Bauen 2.0“ gehen Experten bei einem ZT-Forum der
die Kammer der ZiviltechnikerInnen für
Steiermark und Kärnten nach; bei der letzten Veranstaltung dem Thema „Nachhaltiges Bauen, Ökoschmäh oder Zukunftsvision“.
www.aikammer.org, zt-forum@arching.at

Liste. Eine Reihe von Beispielen für „Blue Buildings“ findet man auf www.oegni.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2012)

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