Gute Kinderstube: Privatgemächer und Prinzessinnenträume

Kinder wohnen heute anders: in riesigen Räumen auf eigenen Etagen – im Architektenhaus. Plant man heute Wohnraum für Kinder, sei vielmehr Flexibilität der Räume das Maß aller Dinge.

Kinderzimmer, angelegt wie lange Schläuche. Bloß funktionell oder mit viel zu viel Ballast eingerichtet. Selbst in den großzügigsten Eigenheimen wurde bis vor wenigen Jahren dem Kinderbereich nicht der Status eingeräumt, den die jüngsten Familienmitglieder eigentlich verdienten. Sind sie doch die intensivsten Nutzer.

Einfach die Quadratmeterzahl der Zimmer zu erhöhen, reicht aber nicht. Plant man heute Wohnraum für Kinder, sei vielmehr Flexibilität der Räume das Maß aller Dinge, betonen Architekten unisono, denn Bedarf und Bedürfnisse ändern sich im Sauseschritt. Altersbedingte Möbelszenarien von der Spielhöhle bis zur Schreibtischecke sollten adäquat Platz finden. „Man darf nicht den Fehler machen, Kinder nur als Zwei-, Drei- und Vierjährige zu sehen, im Handumdrehen sind sie Teenager“, gibt Architekt Tom Lechner von „LP architektur“ zu bedenken. Lechner will neutrale Räume und damit die Möglichkeit schaffen, sie selbstständig zu gestalten – zum Spielen, zum Rückzug. „Kinderzimmer sind nicht nur Schlaf-, sondern Aufenthaltsräume. Wesentlich dabei ist, dass jedes Kinderzimmer im Haus die gleiche Qualität hat, kein Kind sollte bevorzugt werden“, sagt Lechner.

Da kommt auch Raum ins Spiel, an den man zuerst nicht denkt: der Erschließungsbereich, der mehr Bedeutung bekommen soll: „Wenn die Architektur ihm keine Funktion vorgibt, bleibt er einfach ein Gang, in dem kein Leben passiert.“ Dabei könne gerade aber ein Gang interessant sein, um dort die Carrera-Autobahn aufzustellen oder um Hausübungen zu erledigen. In diesem Sinn wurde im Einfamilienhaus Eibl/Schernthanner in St. Georgen dem Kinder- und Elternbereich eine Multifunktionszone vorgelagert, in dem Platz zum Wirtschaften, Computern und Spielen ist.

Große, schwarze Schultafeln verbergen Nischen für Haushaltsgeräte. Die gesamte Zone öffnet sich über eine große Verglasung ebenerdig zum Garten, von den Kinderzimmern mit ihren überdachten Terrassen ist es nur ein Schritt hinaus. Ein Geschoß darüber befindet sich der Familienwohnbereich mit dem Schlafraum der Eltern. Klar abgetrennt funktionieren beide Zonen.

Wider den Kindertrakt

Die Wünsche der Bauherren spiegeln oft das Familienleben: „Nicht alle wollen es so eng und die Kinder dauernd um sich spüren. Wir hatten schon Eltern, die wollten, dass die Kinder im Haus möglichst weit weg von den Erwachsenen untergebracht sind, am besten am anderen Ende des Hauses. Das ist uns doch etwas fremd, da versuchen wir schon zu relativieren“, erzählt Architekt Stefan Puschmann.

Mit der „Woodbox“ haben „formann2puschmann architekten“ am Fuß der Perchtoldsdorfer Weinberge ein Objekt für eine Familie mit drei Kindern realisiert. Der Kinderbereich im Obergeschoß umfasst einen zentralen Spielplatz und drei gleich große Zimmer, die durch breite Schiebetüren getrennt sind. Geöffnet entsteht ein fast 50 Quadratmeter großes, lichtdurchflutetes gemeinsames Kinderzimmer. „Die Bauherren haben uns erst unlängst berichtet, dass die Kinder das gern annehmen, die Türen sind meist geöffnet.“

Eine Spielzone außerhalb der eigentlichen Zimmer hat auch Karin Triendl von „triendl und fessler architekten“ für zwei Familien in Hadersfeld umgesetzt. Der Wohn- und Essbereich im Erdgeschoß zieht sich als ein Raum über die gesamte Gebäudetiefe. Aber es wurden Nischen geschaffen, in denen die Kinder in Ruhe lernen und spielen können. Immer wieder taucht in Familien der Wunsch auf, erzählt Triendl, der Fernseher solle nicht so präsent im Wohnbereich sein. Auch dies wurde durch eine Nischenlösung in die Tat umgesetzt. Und offenbar reicht der Ausblick: Von den Schlafräumen im Obergeschoß blickt man durch raumhohe Verglasungen in die Natur.

Oft kontroversiell diskutiert wird die Platzierung des Kinderbereichs im Haus. „Wir versuchen, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Nachwuchs seinen Bereich viel intensiver nutzt als die Erwachsenen. Während sich Kinder viele Stunden in ihren Räumen aufhalten, werden die Erwachsenenbereiche meist nur zum Schlafen benutzt. Das heißt: Geht es um Ausblick, Licht und Sonne haben für uns die Kinder klare Priorität“, betont Stefan Puschmann.

Lichtdurchflutet statt nordseitig

Viel Raum hat Marion Wicher von „yes architecture“ für eine Patchworkfamilie geschaffen, die sich Offenheit und ein gastfreundliches Ambiente wünschte, „einen bespielbaren Raum für viele“. Auf den 300 Quadratmetern in dem markanten Zedernholzschindelbau in Frohnleiten können sich jetzt vier Kinder austoben. Die Architektin konzipiert Kinderzimmer aus Prinzip im Erdgeschoß – nicht nur, weil es dann kein Problem mit dem Getrampel im ersten Stock gibt. „Wenn die Kinder klein sind, sind sie intensiv in den Lebensraum integriert und stehen ständig unter Beobachtung. Sind sie größer, können sie direkt in den Garten und müssen mit ihrem Spielzeug nicht durch andere Räume wandern“, so Wicher. „Und sind sie noch älter, können sie unbemerkt und unbeobachtet das Haus verlassen.“

Dass Kinderzimmer durchaus kompakt geplant werden dürfen, entspricht der gängigen Praxis und wiederum der Forderung nach Flexibilität – schließlich erfahren die Räume im Lauf der Jahre in vielen Fällen eine Umnutzung. Fenstertüren lassen durch den Bezug nach außen auch kleine Räume größer wirken. Das architektonische Rezept für Kinderreiche in Einfamilienhäusern ist eigentlich so logisch wie einfach: „Was großen Menschen gut tut, tut auch den Kleinen gut“, sagt Lechner. Und dazu gehöre, mein Wicher, in jedem Fall: „Viel Licht, Luft und Sonne.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2012)

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