Deutschlands Aristokraten: Adelstitel als Teil des Namens

Adel verzichtet nicht Drang
Adel verzichtet nicht Drang(c) Dapd (Timm Schamberger)
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Ulrich Habsburg fordert das Recht von Deutschlands Aristokraten auch für Österreich: Die Titel von einst im Namen zu tragen. Das beflügelt das adlige Ego. Nur eine harmlose Eitelkeit?

Man vermutet sie hoch zu Ross, in Kutschen oder Oldtimern. Aber man findet die deutschen Aristokraten, authentischer als irgendwo sonst, auf dem Drahtesel: als „Adel auf dem Radl“. Bei diesen rudelartigen Ausflügen strampeln Jugendliche in identitätsstiftender Absicht von Schloss zu Schloss. Die Etappenmarken sind nicht immer Paläste, die Einfamilienhäuser verarmter ostelbischer Barone tun es auch. Wichtig ist nur, dass seinesgleichen Saft und Kuchen reicht.

Am Abend tanzt der Nachwuchs zu Friesenrock, einer schnöseligen Abart des einst wilden Rock 'n' Roll. Schließlich kommen sich die jungen Leute im Park züchtig näher. Das ist die unverhohlene Intention des sportlichen Unterfangens: schon früh die Weichen für eine standesgemäße Heirat zu stellen. So bewahrt die junge Gräfin ihre Eltern vor der Schmach, einen frischen Zweig des Stammbaums von einem bürgerlichen irgendwer knicken zu lassen. Denn dann wäre es vorbei mit dem Von und Zu, das viele deutsche Adelige mit sich tragen wie ein Hirsch sein Geweih.

Radikale Republikaner. Solch wohl konservierter Standesdünkel lässt den Kärntner Ulrich Habsburg-Lothringen offenbar voll Sehnsucht über die Grenze blicken. Auf den Braunauer Zeitgeschichtetagen stellte der Abkömmling des Erzhauses am gestrigen Samstag die Forderung auf, „die Adelstitel in Österreich – wie in Deutschland – als Teil des Namens wieder einzuführen“. Tatsächlich gingen die sonst so titelsüchtigen Österreicher nach dem Ende des Ersten Weltkriegs den radikaleren Weg. Die frischgebackenen Republikaner schafften 1919 neben den Privilegien auch alle Titel der feudalen Klasse ab. Wer sie weiter pflegt, muss mit Strafe rechnen. Die Weimarer Republik hingegen ging einen „Kompromiss“ ein, um die eben noch Mächtigen „nicht ganz zurückzustoßen“, wie die Historikerin und Adelsexpertin Monika Wienfort im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ erklärt.

Die Herrschertitel blieben ein Auslaufmodell, das sich mit dem Ableben der letzten Könige und Kurfürsten erledigt hat. Für den Rest der Sippen wurde der Titel zum Bestandteil des Familiennamens. Die Prinzen, Gräfinnen und Barone haben sich nach rechts verschoben: Ein Graf Otto von Lambsdorff mutiert zu Otto Graf Lambsdorff. In der Prädikatsversion wird aus einem fränkischen Freiherrn ein Karl Theodor zu Guttenberg. Auf die kleine Silbe „zu“ kommt es an – und wie!

Der „Gotha“ gilt. Der „Gotha“ hat nur seinen Namen gewechselt. Das „Genealogische Handbuch“ füllen die Mitglieder der Adelsverbände, deren Regeln streng gefasst sind: Ein angeheirateter Bürgerlicher, ein Bastard oder Adoptivkind haben keine Chance. Das war nicht immer so: Bis in die Siebzigerjahre gab es einen schwungvollen Handel mit den begehrten Titeln. Ist das der einzige Grund, warum man sie so eifersüchtig hütet? „Es wird nichts unversucht gelassen, um die Exklusivität ehemaliger Adelsprädikate zu erhalten“, schrieb Sebastian-Johannes Prinz von Spoenla-Metternich in seiner von Juristen gelobten Diplomarbeit. Der Rebell vermutet hinter dem genealogischen Eifer eine verborgene Agenda: Bei einer „Änderung der Staatsform sollen die alten Machtstrukturen sofort wieder erkennbar sein“.

Solch beunruhigende Perspektiven rufen Katja Kipping auf den Plan. Die heutige Vorsitzende der Linkspartei forderte 2010 die Abschaffung der Titel, getreu dem österreichischen Vorbild: „Es wird Zeit, dass wir das auch in Deutschland tun.“ Aber gibt es unter den etwa 100.000 Deutschen blauen Blutes tatsächlich zuhauf verstockte Monarchisten? Einem „autoritären Herrschaftsmodell“, sagt Historikerin Wienfort, hänge der Adel als Gruppe nicht mehr nach: „Spätestens in den Siebzigerjahren haben sie ihren Frieden mit der Republik gemacht.“

Das war freilich auch die Zeit, als sie sich von einem Makel befreiten. Lange betonten Historiker, wie sehr die traditionelle Elite den Aufstieg der Nazis befördert hatte. Der „Zeit“-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff gelang es, sie mit dem Widerstand in Verbindung zu bringen. Nicht ganz zu Recht, findet Wienfort. Zwar engagierten sich tatsächlich viele adelige Offiziere bei den Attentatsversuchen gegen Hitler, oft aus ihrem betont konservativ-christlichen Weltbild heraus. Aber die große Mehrheit der Aristokraten wandte sich nicht gegen die Nazis. Wienforts Formel: „Auf einen Adeligen im Widerstand kamen sieben bis acht Mitglieder von NSDAP oder SS.“

Schrill und brav. Das geschönte Geschichtsbild half beim Wiederaufbau des Selbstbewusstseins. Das übliche Motiv mag arrogant erscheinen, ist aber politisch harmlos: Die Adeligen wollen aus der Masse herausstechen – durch historisches Bewusstsein, klerikale Gesinnung, eine traditionelle Familie mit vielen Kindern. Dazu kommen Soft Skills, an die Personalchefs denken, wenn ihnen ein „von“ im Briefkopf der Bewerbung entgegenprangt: geschliffene Manieren, weltläufiges Auftreten und das Beherrschen von Fremdsprachen werden gerne gesehen. Das „von“ stellt in die Auslage.

Die starke Präsenz des deutschen Adels hat auch einen handfesten Grund: Im Westen, wo er reich war, hat man ihn nie enteignet. Dynastien wie die Thurn und Taxis, die Fugger oder Guttenberg zählen in ihrer Region zu den wichtigsten Arbeitgebern. Das schafft Respekt und eine Demutshaltung der Landespolitiker. Dass es dabei bleibt, dafür sorgen rigorose Erbregeln: In vielen Familien verzichten alle Nicht-Erstgeborenen auf ihr Pflichtteil, um den Besitz zusammenzuhalten.

Prominenz und Reichtum verleiten zu Übermut. Die Klatschspalten leben von Exzessen der Blaublütigen: dem Prügelprinzen Ernst August von Hannover, der schrillen Gloria von Thurn und Taxis, dem alkoholsüchtigen Carl Eduard von Bismarck. Der Chef der Truppe zieht kaum Blitzlichter auf sich: Georg Friedrich Prinz von Preußen, Ururenkel des letzten Kaisers, ist adrett, fleißig und viel zu langweilig fürs sensationsgeile Volk. Nur 160.000 Zuschauer lockte seine Potsdamer Hochzeit vor die Fernseher – nichts im Vergleich zu royalen Festen in real existierenden Monarchien.

Da bleiben den Deutschen nur Ersatzkönige wie zu Guttenberg. So einer spiele mit der „vordemokratischen Sehnsucht“, empörte sich Kipping zu den Amts- und Würdezeiten des Ministers. Doch auch er ist vorerst Geschichte, zum Kummer der Adeligen, die stolz auf ihr Aushängeschild waren. Für die breite Masse aber trübte seine Entzauberung auch das Bild des Adels: Er biete ja doch nur Schein statt Sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2012)

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