Börsenparty - noch ganz ohne Katzenjammer

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Mit Aktien konnte man heuer viel Geld verdienen. Denn die Papiere hatten starken Nachholbedarf gegenüber Anleihen. Dieser ist noch immer nicht gestillt. Doch lauern nächstes Jahr zahlreiche Risken.

Wien. Ein Aktienzyklus durchläuft vier Phasen. Zu diesem Schluss kommen jedenfalls Berechnungen von Goldman Sachs. Die Investmentbank hat die Zyklen seit 1970 unter die Lupe genommen und den „typischen“ Verlauf ausgemacht: Jede Hausse beginnt in einer Phase der „Verzweiflung“, in der die Unternehmensgewinne leicht rückläufig sind, die Aktienkurse aber extrem stark nach unten rutschen. Aktien werden auf diese Weise sehr billig – und attraktiv. Zuletzt passierte das 2008 nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers. Dann kommt die Phase der „Hoffnung“, in der die Unternehmensgewinne leicht steigen, die Aktienkurse sich aber deutlich erholen. Aktien werden damit (gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis) wieder teurer. Die Investoren nehmen die künftigen Gewinne bereits vorweg.

In der Phase des Skeptizismus

„Ich glaube, dass wir jetzt an der Schwelle zur dritten Phase stehen“, stellte Jeffrey Taylor, Head of European Equities bei Invesco, kürzlich bei einer Veranstaltung der Wiener Privatbank, fest. Die dritte Phase ist die Wachstumsphase: Die Unternehmensgewinne ziehen tatsächlich kräftig an, die Kurse nicht mehr ganz so stark. Die letzte Phase ist jene des Optimismus, in der die Gewinne nicht mehr so kräftig steigen, die Anleger sich aber schon so an Kursanstiege gewöhnt haben, dass sie sich kaum noch vorstellen können, dass der Bullenmarkt einmal ein Ende haben könnte: Aktienkurse und Bewertung schießen noch einmal hoch– bis der Zyklus von vorne beginnt.

Von dieser Phase sei man noch weit entfernt, meint auch Norman Boersma, Chief Investment Officer bei der Templeton Global Equity Group. „Diese Phase, in der Leute auf Dinnerpartys erzählen, welche Aktien sie schon wieder gekauft haben und wie viel Geld man nun mit China-Investments verdienen kann, gibt es noch nicht.“

Im Gegenteil: Die starken Kursanstiege der vergangenen Monate hätten die Anleger schon wieder vorsichtig gemacht. „Bullenmärkte beginnen im Pessimismus, wachsen im Skeptizismus, reifen im Optimismus und sterben in der Euphorie“, sagt Boersma. Jetzt sei gerade der Pessimismus dem Skeptizismus gewichen.

Rotation, aber keine große

Dass Aktien sich heuer um so viel besser entwickelt haben als die meisten anderen Vermögenswerte, habe vor allem einen Grund: den Nachholbedarf. Von der Geldschwemme der Notenbanken profitierten zunächst primär die Anleihenmärkte. Die Folge ist, dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis bei zehnjährigen US-Staatsanleihen nun 37 Prozent beträgt. Zum Vergleich: In den Achtzigerjahren betrug der Wert zehn, in den Neunzigern 15 und in den Nullerjahren 23 Prozent. Aktien aus dem S&P-500-Index sind mit einem KGV von 17,5 dagegen billiger als in den Neunziger- und Nullerjahren– und obendrein deutlich billiger als Anleihen.

Das komme nun langsam bei den Marktteilnehmern an, stellt Boersma fest. Die von vielen heraufbeschworene „Große Rotation“, also die massive Umschichtung von Anlegergeldern weg von Anleihen hin zu Aktien, sei schon im Gange, wenngleich von „groß“ keine Rede sein könne und der Prozess nicht abgeschlossen sei.

Boersma räumt aber ein: Es ist nicht mehr so leicht, wirklich günstige Kaufgelegenheiten zu finden wie nach der Finanzkrise 2008 und 2009. Man müsse schon genauer hinsehen. Er selbst hält europäische Aktien für relativ billig verglichen mit US-amerikanischen Papieren, unter den Branchen zieht er Energiewerte (etwa Ölfirmen) und Banken vor.

Invesco-Experte Taylor verweist darauf, dass – gemessen am zyklusbereinigten KGV – Aktien aus nahezu allen Regionen unterbewertet sind (ausgenommen USA). Innerhalb Europas seien vor allem Papiere aus den Peripherieländern wie Spanien oder Italien günstig. Deutsche Aktien seien hingegen nur noch leicht unterbewertet.

Nur Konsumgüter sind teuer

Tatsächlich konnte man heuer bis dato vor allem mit amerikanischen, deutschen und japanischen Titeln Geld verdienen. Der Frankfurter DAX legte seit Jahresbeginn um 23 Prozent zu (inklusive Dividenden, die beim DAX– anders als bei vielen anderen Indizes– einberechnet werden).

Ähnlich hohe Wertzuwächse konnte man mit japanischen Aktien auf Eurobasis erzielen (auf Yen-Basis wäre es noch mehr). Der US-amerikanische Dow Jones legte seit Jahresbeginn um nicht ganz 20 Prozent zu. Auch spanische und italienische Indizes haben sich heuer deutlich verteuert, allerdings von einem niedrigen Niveau aus. Der heimische ATX brachte es hingegen „nur“ auf ein Plus von zehn Prozent. Mit derzeit etwa 2650 Punkten ist der Wiener Leitindex auch noch weit von seinem Allzeithoch bei 5000 Zählern entfernt. Einzelne Werte haben aber stark angezogen. Etwa das Papier des Ziegelherstellers Wienerberger, das sich seit Jahresbeginn um fast vier Fünftel verteuert hat. Ursache ist der starke Nachholbedarf. In den Jahren davor war die Aktie regelrecht hinuntergeprügelt worden.

Wer auf unterbewertete Branchen setzen will, sollte vor allem zu Finanzdienstleistern, Versorgern und Öl- und Gastiteln greifen, meint Taylor. Im Finanzsektor gebe es seit einem Jahr auch mehr positive Gewinnüberraschungen als bei Basiskonsumgüterfirmen. Unter den Finanzdienstleistern hält der Fondsmanager etwa die französische BNP Paribas, die niederländische ING, den Versicherungskonzern AXA, die spanische Bankinter oder die skandinavische Nordea für interessant. Viele Anleger misstrauen indes dem Banken- und Versorgersektor. Die gute Nachricht für sie: Nahezu alle anderen Branchen sind im historischen Vergleich ebenfalls unterbewertet– ausgenommen die Konsumgüterbranche, sagt Taylor.

Risiko Wirtschaftsschwäche

Die Aktienparty sollte also weitergehen, ist aber mit Risiken behaftet: Das Hauptrisiko ist für Boersma, dass sich die Wirtschaft nicht so stark erholt, wie die Aktienkurse vorwegnehmen. Auch ein unerwartet starkes „Tapering“ (Zurückfahren der Geldspritzen) durch die US-Notenbank Fed könnte sich negativ auswirken, allerdings rechne der Markt bereits mit einem leichten Tapering. Schließlich könnten immer wieder politische Risiken schlagend werden, etwa neuerliche Unstimmigkeiten mit dem Iran in Sachen Atompolitik, Turbulenzen im arabischen Raum, ein Wiederaufkochen der Euro-Schulden-Krise oder ein neuer Schuldenstreit in den USA. [ i-Stockphoto ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2013)

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