Schuldnerberater: "Ich gebe praktisch alles aus, was ich habe"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Alexander Maly ist Österreichs oberster Schuldnerberater. Im Interview mit der "Presse" erklärt er, warum er sein Konto nie auch nur um einen Cent überziehen will und warum er privat kein Geld verleihen würde.

Die Presse: Waren Sie schon einmal in finanziellen Schwierigkeiten?

Alexander Maly: In Schwierigkeiten nicht, Engpässe hatte ich aber schon. Als Student hat man immer Engpässe. Ich bekam auch damals schon schnell mit, dass der Grat zwischen Umschmeicheln von Bankkunden und hartem Hineinfahren gegen sie ein schmaler ist.

Wodurch?

Durch einen Fehler der Bank wurde damals eine Einnahme von mir nicht gebucht. Das fiel mir längere Zeit nicht auf, und plötzlich war mein Konto weit im Minus. Ich bekam eine Mahnung, die sofort 15Schilling gekostet hat. Das war für mich damals viel Geld. Ich ärgerte mich sehr, denn ich war ein guter Kunde. Ich ging dann von der Bank weg.

Haben Sie auch schon einmal Schulden gemacht?

Ich hatte einmal kurzfristig einen Überbrückungskredit. Ich bin auch nicht gegen Kredite im Allgemeinen, nur gegen sinnlose Kredite. Und die sehe ich in meiner Arbeit leider sehr oft.

Was ist ein sinnloser Kredit?

Jeder Konsum, den ich auf Kredit finanziere, ist ein Unsinn. Wenn ich nur wenig Geld habe, sollte ich das ausgeben. Ich bin kein Verfechter des Sparens um jeden Preis. Ich finde es besser, wenn man das Geld ausgibt, das man hat. Aber nicht geborgtes Geld. Das ist Umverteilung von unten nach oben.

Das heißt, Sie geben alles Geld aus, das Sie einnehmen?

Ich versuche, alles auszugeben, was ich habe. Ich habe ein altes Haus und ein altes Auto. Bei beidem kann man immer fest hineinstecken. Da ist das Geld sehr schnell weg. Im Grunde bin ich intuitiv geizig. Ich gebe schon gern Geld aus, aber ich muss ganz sicher sein, dass ich das Geld habe. Der Gedanke, ins Minus zu kommen, ist mir unangenehm. Da leiste ich lieber einen gewissen Triebverzicht.

Im Vergleich zu Ihren Klienten in der Schuldnerberatung sind Sie da aber die Ausnahme, oder?

Ja, und das ist gut so. Auch ein Arzt muss nicht jede Krankheit ausprobieren, die seine Patienten haben.

Warum sind Sie so kategorisch gegen das Sparen?

Ich habe nichts gegen einen Notgroschen. Aber ich bin gegen das krankhafte Zusammenraffen von Geld, verbunden mit der Idee, dass das Geld immer für mich arbeiten können muss. Diese Idee bringt uns an den Rand des Abgrunds. Wir haben extrem viel Anlagekapital, viele institutionelle Anleger, die alle nur wollen, dass das Geld von allein mehr wert wird. Das kann nicht funktionieren.

Alles ausgeben geht sich aber auch nicht bei allen aus.

Vielleicht haben die zu viel. Nein, ich neide niemandem etwas. Aber es ist völlig absurd, zwölf Millionen Euro im Jahr zu verdienen. Nach Steuern sind das 500.000 Euro pro Monat. Wie soll ich das ausgeben?

Hat sich Ihre Einstellung zu Geld verändert, seit Sie in der Schuldnerberatung arbeiten?

Absolut. Ich überziehe mein Konto nicht einmal mehr um einen Euro, weil ich weiß, dass das die gefährlichste Schuldenfalle ist. Es gibt welche, die kommen von ihrem Kontoüberzug gar nicht mehr weg. Das Konto wird nur in der Schwebe gehalten, indem man umschuldet. Das geht manchmal 20 Jahre so, und dann kracht es umso heftiger. Durch den ersten Kontoüberziehungsrahmen haben die Menschen gelernt, Geld auszugeben, das sie gar nicht haben. Dann zahlen sie plötzlich 18 Prozent Zinsen.

Würden Sie je privat Geld verleihen?

So gut es geht, nicht. Wenn ich es für sinnvoll halte und ich im schlimmsten Fall damit leben könnte, wenn ich es nicht zurückbekomme, dann ja. Was ich nicht machen würde, ist ungefiltert jemandem Geld geben, der sagt: „Das brauch ich g'schwind, damit ich nicht geklagt werde.“ Wenn ich ihm Geld borge und er es nur zum Löcherstopfen verwendet, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass er es nie zurückzahlt. Das könnte ich zwar vielleicht verkraften, aber erstens wäre ich dann böse auf ihn, weil er nicht die Wahrheit gesagt hat. Und zweitens hätte ich ihm nicht geholfen. Geld hilft nur, wenn jemand einen Privatkonkurs machen muss und er ihn damit schneller abbezahlen kann.

Wurden Sie schon einmal um finanzielle Hilfe gefragt?

Nein. Ich habe nur einmal im engsten Kreis einen Kredit ausbezahlt, statt mein Geld ohne Zinsen auf dem Sparbuch liegen zu lassen. Da denke ich nicht an das Rückzahlen.

Entscheidend für den Umgang mit Geld ist oft das Elternhaus. Haben Sie selbst Kinder?

Nein.

Schade, dann fällt die Taschengeldfrage weg.

Nicht unbedingt. Ich habe einmal einen Vortrag vor einer Schulklasse gehalten und die 15-jährigen Schüler gefragt, was ein Pullover kostet. Gewusst haben es nur die, die Taschengeld bekommen haben und damit verbunden den Auftrag, sich selbst einzukleiden. Wer kein Taschengeld bekam, hatte keine Ahnung. Taschengeld ist wichtig, wenn damit verbunden ist, dass das Kind etwas damit selbst bezahlen muss.

Wenn man den Umgang mit Geld nicht als Kind mitbekommt, kann man ihn später noch lernen?

Es ist um vieles schwieriger. Die Rolle der Eltern wird oft unterschätzt. Dabei geht es oft um kleine Dinge: Wie verhalten sich die Eltern beim Spazierengehen? Fallen sie in jedes Kaffeehaus und bestellen wie die Wilden? Davon lernen Kinder viel, oder sie lernen eben nichts.

Wie war das bei Ihnen?

Beide waren immer sehr gut im Umgang mit Geld. Beide waren nicht geizig. Das, was da war, ist verwendet worden. Und was nicht da war, eben nicht.

Warum rutschen Menschen in Österreich in die Schuldenfalle?

Die Hauptursache ist, dass sie über lange Zeit ein bissl zu viel ausgeben. Es sind selten die überschuldeten Häuslbauer. Öfter nehmen sie den ersten Fernseher auf Teilzahlung – das ist ein Kredit –, dann das Auto genauso. Dann kommen externe Faktoren hinzu: Die Freundin bekommt ein Kind, er verliert den Job, sie trennen sich. Die Wurzel ist allerdings, dass man nicht merkt, dass man mehr Geld ausgibt, als man hat. Bis 2008 wurde diese Unübersichtlichkeit von den Banken massiv gefördert. Es gab ein ungeschriebenes Gesetz, wonach man denen, die nicht so gut rechnen können, alles reindrückt.

Hat sich das gebessert?

Die Bankenkrise hat Positives gebracht. Die Banken sind schlagartig auf die Kreditbremse gestiegen, auch wenn sie das Gegenteil behaupten. Aber ich fürchte, dass diese Phase vorübergehen wird.

Werden Sie von Ihren Klienten oft angelogen?

Nein, das bringt auch nichts. Von mir gibt es kein Geld, sondern nur Beratung. Und wenn sie mich anlügen, bekommen sie die falsche Beratung. Aber es passiert natürlich schon, dass Menschen aus Scham nicht die ganze Wahrheit erzählen. Und wenn es um die Vermögensaufstellung für den Privatkonkurs geht, sagen auch nicht alle gleich, dass es noch ein Haus in Serbien oder in der Türkei gibt.

Worauf können Ihre Klienten am schwersten verzichten?

Die Jungen können am schwersten auf Autos und Elektronikartikel verzichten. Wer erst kommt, wenn er den Crash lange hinter sich hat, weiß aber genau, wie man spart.

Worauf könnten Sie selbst am schwersten verzichten?

Auf mein Wochenende. Das kann man zum Glück nicht pfänden. [ Fabry ]

ZUR PERSON

Alexander Maly ist seit dem Jahr 2006 Geschäftsführer der Wiener Schuldnerberatung. Die Stadt Wien hat in den späten Achtzigerjahren damit begonnen, verschuldete Haushalte zu beraten. 1989 entschied man sich dann, die Schuldnerberatung offiziell als selbstständige Beratungsstelle zu eröffnen. Seither wurden knapp 19.000 Privatkonkurse begleitet. Wer sich an die Beratungsstelle wendet, steht im Durchschnitt mit 40.000 Euro in der Kreide.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2013)

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