Abrupte Katerstimmung in Brasilien

(c) EPA (SEBASTIAO MOREIRA)
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Die Anlegerparty im BRIC-Staat Brasilien ist vorbei. Devisen fließen seit dem Vorjahr plötzlich massiv ab. Das Land laboriert an einer Konsumflaute und schlechter Infrastruktur.

Wien. In dem Land, das gern mit Euphorie und Leidenschaft assoziiert wird, scheint derzeit die Enttäuschung Oberhand zu gewinnen. Nicht nur, dass immer mehr der 195 Mio. Einwohner über die Geldverschwendung und Korruption angesichts der im Sommer startenden Fußball-WM erzürnt sind. Auch Anleger sind nach einer jahrelangen Party plötzlich von einer Katerstimmung erfasst. Konkret haben sie im Vorjahr 12,3 Mrd. Dollar (neun Mrd. Euro) aus dem lateinamerikanischen Land abgezogen. Wie aus den Daten der brasilianischen Notenbank hervorgeht, bedeutet dies den höchsten Devisenabfluss seit über einem Jahrzehnt. Selbst bzw. gerade in den Jahren der globalen Finanzkrise seit 2008 hatten Investoren auf Südamerikas bevölkerungsreichstes Land, das zur informellen Gruppe der dynamischen BRIC-Staaten gehört, geschworen, weil es als sicherer Hafen gegolten hatte.

Real-Verfall und Konsumflaute

Mittlerweile haben nicht nur die BRIC-Staaten (neben Brasilien sind dies Russland, China und Indien) als globale Wachstumslokomotiven generell an Zugkraft eingebüßt. Im Speziellen ist in Brasilien die Wirtschaftslage von dem Verfall der Landeswährung Real sowie davon gekennzeichnet, dass der vorherige Außenhandelsüberschuss im Vorjahr endgültig verloren ging. Dazu kommt, dass der Konsumboom vorbei ist und die Haushalte mit ihren Ausgaben vorsichtiger geworden sind. Hintergrund dafür ist eine hohe Inflation, die die Notenbank Ende des Vorjahres dazu veranlasst hat, den Leitzins auf zehn Prozent anzuheben. Das freilich nimmt den Anreiz für Investitionen in die Wirtschaft.

Wie die Entwicklung an den Börsen zeigte, haben brasilianische Papiere im Vorjahr um 18,2 Prozent nachgegeben, indische sackten um 8,3 Prozent ab, während der US-Index S&P 500 um fast 30Prozent zulegte.

In Brasilien zeigte sich die Konjunktur gegenüber 2012 zwar leicht verbessert und überraschte gerade mit einem positiven ersten Halbjahr 2013. Im zweiten Halbjahr jedoch hielten sich Industrieunternehmen gleich wie Konsumenten wieder zurück, Banken froren die Kreditvergabe massiv ein, sodass das Wachstum nur sehr schleppend wieder in Schwung kommt.

Flaschenhals Infrastruktur

Zwar verfügt Brasilien über Rohstoff- und Agrarreichtum sowie über eine geringe Marktsättigung und lockt mit einer konsumfreudigen neuen Mittelschicht. Bürokratie, Intransparenz und Facharbeitermangel erweisen sich aber genauso als Bremsen wie die teils katastrophale Infrastruktur.

Zuletzt hat die Regierung gerade bei der Autobahninfrastruktur großflächige Privatisierungen mit der Auflage vorgenommen, dass die privaten Betreiber milliardenschwere Investitionen in die Modernisierung stecken. Um die verschlechterte Situation bei den Staatsfinanzen zu verbessern, stehen weitere Privatisierungen bevor. Zumal im Herbst Gouverneurs- und Präsidentenwahlen stattfinden. Strukturelle Verbesserungen werden von Experten aber erst ab 2015 erwartet.

Brasiliens Wirtschaft wächst seit 15Jahren mit jährlichen Wachstumsraten von 2,5 bis vier Prozent. Das Land verfügt über das weltweit sechstgrößte Bruttoinlandsprodukt und gilt als viertgrößter Automarkt der Welt. Wegen höherer Steuern und knapperer Kredite ist heuer auch der Autoabsatz im Inland zum ersten Mal nach zehn Jahren rückläufig gewesen. Weil aber die Autoexporte zulegten und das Land gleichzeitig Pkw-Importe beschränkte, erzielte die Branche dennoch einen neuen Produktionsrekord mit plus zehn Prozent gegenüber 2012. (ag./est)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2014)

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